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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
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einen Mann weinen sehen, höchstens im Fernsehen. Ich hatte noch nicht mal erlebt, dass mein Vater kurz davor gewesen wäre. Diese Tränen sahen so seltsam aus an dir. Es war, als würde deine ganze Kraft aus dir herausrinnen. Vor lauter Überraschung hörte ich auf, mich so schrecklich zu fürchten. Ich atmete tief durch und schaute mich im Raum um. Die Wände waren mit breiten Farbbändern bedeckt. Pflanzenteile, Blätter und Sand klebten darauf.
    Du machtest einen Schritt auf mich zu und sofort heftete ich meinen Blick wieder auf dein Gesicht. Du bist auf die Fersen gesunken. Du bewegtest dich nicht in den Bereich, in dem ich war; in diese sandige, klebrige Gegend. Du bliebst am Rand, sahst alles an … sahst mich an. Deine Augen waren jetzt stechend blau und wirkten immer noch wild.
    »Du sitzt in meinem Bild«, sagtest du schließlich. Du beugtest dich vor und berührtest ein Blatt. »Ich habe das alles gemacht.« Du fuhrst mit dem Finger am Rand des Blatts entlang, streicheltest den Sand. »Da waren Muster und Formen, alle aus dem Land gemacht …« Beim Betrachten des Schadens, den ich angerichtet hatte, wurde dein Gesicht wieder hart und zornig. Doch irgendwann hobst du die Schultern und ließest sie mit einem Seufzer wieder sinken. »Allerdings könnte man auch sagen, du hast das Muster einfach nur verändert … Vielleicht ist es jetzt sogar noch besser. Du bist ein Teil davon geworden.«
    Ich nahm die Spur wahr, die ich auf meinem Weg über den Boden hinterlassen hatte, sah die Farbe, die ich überall verteilt hatte. Schwankend kam ich wieder auf die Füße. Ein Bündel Zweige fiel mir aus dem Schoß. Ich blickte in dein Gesicht mit den blutunterlaufenen Augen und den Tränenspuren, mit dem verkrampften Kiefer. In diesem Moment sahst du verrückt aus; wie ein Geisteskranker, der sich weigert, seine Medikamente zu nehmen. Innerlich ging ich Sätze durch, überlegte, was ich sagen könnte, um von hier wegzukommen, ohne dich noch mehr in Aufregung zu versetzen. Einerseits wollte ich unbedingt zur Tür, andererseits musste ich verhindern, dass du komplett durchdrehtest. Wie ging man bloß mit einem Wahnsinnigen um? Aber am Ende warst du derjenige, der unser Schweigen brach.
    »Ich wollte dir keine Angst einjagen«, sagtest du, nun wieder mit ausgeglichener, vernünftiger Stimme. »Ich war bloß so in Sorge um mein Bild. Ich habe … sehr lange da dran gearbeitet.«
    »Ich hab gedacht, du würdest … du wolltest …« Was ich mir vorgestellt hatte, war zu grausig, um es auszusprechen.
    »Ich weiß.« Du fuhrst dir mit der Hand durch die Haare, die teilweise rot wurden von dem Sand an deinen Fingern. Du wirktest sehr ernst. Dein Gesicht war jetzt müde und leer, deine Stirn lag in Falten.
    »Entspann dich«, sagtest du. »Bitte, entspann dich einfach. Nur dieses eine Mal. Wir können so nicht weitermachen. Vertrau einfach darauf, dass alles gut so ist.«
    Du sagtest das ganz aufrichtig, als wolltest du wirklich nur das Beste für mich. Ich machte ein paar Schritte quer durch dein seltsames Bild und kam ziemlich nah an dich heran, näher, als ich es wollte.
    »Okay«, sagte ich. Wieder begann ich am ganzen Körper zu zittern. Ich konnte mich kaum aufrecht halten. Trotzdem musste ich zusehen, dass meine Stimme leicht und freundlich klang. So viel wusste ich über den Umgang mit Verrückten. Solange nur der Tonfall stimmt …
    Ich nahm meinen Mut zusammen und blickte dir direkt in die Augen. Sie waren geweitet und nicht mehr ganz so rot. »Lass mich einfach gehen«, sagte ich. »Nur kurz, für eine kleine Weile. Das geht schon in Ordnung.« Ich bemühte mich, meine Stimme beruhigend klingen zu lassen und dir ein Ja abzuringen. Noch mal blickte ich Richtung Tür. Dir liefen jetzt wieder die Tränen übers Gesicht. Du wichst meinem Blick aus und legtest deine Stirn auf einen der Sandhaufen. Der rote Staub heftete sich auf deine nassen Wangen. Geräuschvoll schlucktest du die Tränen runter. Dann fegtest du einen Teil des Sandes so zusammen, dass er eine ordentliche Linie bildete, und verbargst das Gesicht in deinen Händen.
    »Gut«, sagtest du schließlich leise – so leise, dass ich zuerst glaubte, du hättest gar nichts gesagt. »Ich werde dich nicht aufhalten. Ich rette dich nur, falls du dich verirrst.«
    Ich wartete nicht ab, ob du das noch mal sagen würdest. Ich ging an dir vorbei. Ich war total angespannt, weil ich Angst hatte, du würdest mich packen, würdest deine stahlharten Finger in meinen

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