Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
betrachtete die Holzwände. Meine Stimme war verschwunden, ich wusste nicht, wie ich sie wiederfinden sollte. Ich vergaß die Kerben am Bett. Ich wollte einfach alles vergessen.
Manchmal hast du dich neben mich gesetzt und versucht mit mir zu reden, aber ich sah dich nicht an. Ich zog die Knie dicht an die Brust und wickelte meine Arme um sie.
Und dann tauchte ich ab in meine Erinnerungen.
Ich begann mit dem Wachwerden, damit, wie sich meine dicke Daunendecke anfühlte, die ich mir immer bis hoch über die Schultern zog, und wie mein flauschiger Schlafanzug sich an meine Haut schmiegte. Wenn ich ganz bei der Sache war, konnte ich sogar das Mahlen und Zischen aus der Küche hören, mit dem sich Mum ihren Morgenkaffee kochte. Ich nahm das bittere Kaffeearoma wahr, roch den intensiven Geruch, der durch die Türritzen bis zu meinem Bett drang. Hörte das Klacken, mit dem sich die Zentralheizung einschaltete.
Dann stand Dad auf und hämmerte gegen meine Zimmertür. Beim Frühstück hielt er mir Vorträge darüber, wie wichtig gute Noten waren und welche Unis ich mir im Sommer näher anschauen sollte. Ich schloss die Augen und versuchte mir sein Gesicht vorzustellen. Mir blieb fast die Luft weg, als es mir nicht gelang. Welche Form hatte seine Brille noch mal? Und wie war die Farbe seiner Lieblingskrawatte?
Dann probierte ich es mit Mum, aber sogar bei ihr hatte ich Schwierigkeiten. Ich erinnerte mich zwar genau an das rote Kleid, das sie bei Ausstellungseröffnungen gerne trug, aber nicht an ihr Gesicht. Ich wusste, dass ihre Augen grün waren wie meine und dass sie zarte Gesichtszüge hatte … doch es gelang mir nicht, die Einzelheiten zusammenzubringen.
Dieses Vergessen machte mir Angst und ich hasste mich dafür. Es kam mir vor, als verdiente ich es nicht, die Tochter von irgendwem zu sein.
An Anna dagegen konnte ich mich erinnern. Und auch an Ben. Stundenlang dachte ich an ihn, malte mir aus, er wäre bei mir, stellte mir vor, wie meine Finger durch seine weichen, sonnengebleichten Haare fuhren. Wenn ich die Augen schloss, lag er neben mir im Bett und passte auf mich auf.
Er war den Sommer über in Cornwall beim Surfen, zusammen mit Anna. Dieser Sommer war der erste überhaupt, den Anna und ich getrennt verbrachten. Ich fragte mich, was die beiden wohl taten in ihrem Hostel am Strand oder wenn sie jeden Tag nebeneinander im Sand saßen … in einem ganz anderen, viel weicheren Sand. Ich fragte mich, ob sie überhaupt wussten, dass ich verschwunden war.
Als ich die Augen wieder aufschlug, warst du neben mir und kautest an den Fingernägeln. Nach einer Weile hast du gemerkt, dass ich dich beobachtete.
»Wie geht’s dir?«
Ich konnte nicht antworten. Mein ganzer Körper war wie aus Stein. Wenn ich auch nur die Lippen bewegte, würde ich zerspringen.
»Ich kann dir was zu essen machen«, schlugst du vor. »Oder willst du was trinken?«
Ich blinzelte nicht mal. Ich dachte, wenn ich nur lang genug still war, bliebe dir nichts anderes übrig, als zu gehen.
»Vielleicht … vielleicht brauchst du frische Bettwäsche?«
Du rücktest ein bisschen näher. Dann strecktest du deine Hand aus und legtest deine Finger auf meine Stirn, doch ich spürte sie kaum. In diesem Augenblick warst du Millionen Meilen weit weg, in einem Paralleluniversum. Ich war wieder zu Hause, in meinem Bett … Gleich würde ich wach werden und mich für die Schule fertig machen. Ben saß neben mir, nicht du. Du konntest es nicht sein. Du hast dich wieder zurück auf deinen Stuhl sinken lassen und schautest mich an.
»Mir fehlen deine Worte«, sagtest du.
Ich schluckte. Das tat weh, denn meine Kehle war so trocken. Du blicktest mich an, deine Augen fest auf meine Lippen geheftet.
»Ich weiß, wie das ist«, sagtest du. »Ich habe auch mal aufgehört zu sprechen.« Du entdecktest ein loses Stück Haut an deinem Nagel und spieltest mit dem Daumen daran herum. »Alle haben gedacht, ich hätte noch nie gesprochen, ich wäre … wie heißt das noch mal? Stumm. Ein paar meinten sogar, ich wäre auch noch taub.« Du hast das Hautstück abgebissen. »Das war, gleich nachdem ich diesen Ort hier gefunden hatte.«
Meine Augenbrauen zuckten.
»Das interessiert dich, stimmt’s?« Du lehntest deinen Kopf gegen die Wand. Ein Schweißtropfen glitt deine Wange hinunter und lief dir über die blasse Narbe. »Ja, stimmt«, sagtest du mit einem Nicken, als dir mein Blick auffiel. »Die stammt auch aus der Zeit, als ich geschwiegen habe.« Rasch
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