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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
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wischtest du den Schweiß weg, wobei deine Hand kurz auf der weißen, runzligen Stelle blieb. Dann legtest du Daumen und Zeigefinger aneinander und schnipptest dir gegen die Wange. Der leise Knall ließ mich zusammenzucken. »Ein Netz hat die Haut schnell erwischt«, sagtest du, »da bleiben Spuren.«
    Du bist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Ich bewegte mich, drehte den Kopf ein bisschen, um dich sehen zu können. Das fiel dir gleich auf.
    »Also nicht mehr so tot«, hast du gemurmelt. »Nicht mehr so weit weg.«
     
     
    Eine ganze Weile später legtest du mir ein dünnes, verblichenes Notizheft auf den Nachttisch. Nachdem du wieder aus dem Zimmer warst, nahm ich es und blätterte es durch. Die Seiten waren leer. Ein Bleistift lag daneben. Ich rammte mir die harte Spitze in die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. Es tat weh. Ich stach noch mal zu.
    Ich versuchte sie zu zeichnen … Mum, Dad, Anna und Ben. Ich wollte mich erinnern. Aber ich war noch nie besonders gut in Kunst gewesen. Die Gesichter auf dem Papier waren formlose Fremde; ein Durcheinander von Strichen und Schatten. Ich kritzelte wilde schwarze Zickzacklinien kreuz und quer darüber.
    Dann probierte ich es mit Worten. Die hatten mir schon immer mehr gelegen. Mum und Dad hatten nie begriffen, warum ich so gut in Englisch war, aber nicht in Mathe oder Kunst so wie sie. Aber auch mit den Worten kam ich in diesem Moment nicht klar. Sie ergaben jedenfalls nicht viel Sinn. Wenn jemand lesen würde, was ich da aufschrieb, würde er denken, ich wäre auf Drogen oder so.
    Ich wollte einen Brief schreiben, aber ich kam nicht weiter als Liebe Mum, lieber Dad . Es gab einfach zu viel, was ich sagen wollte. Außerdem wusste ich nicht, ob du das hier lesen würdest.
    Darum schrieb ich einfach das auf, was mir in den Sinn kam: gefangen, eingesperrt, festgesetzt, weggeschlossen, geraubt, entführt, eingebuchtet, gekidnappt, rausgerissen, gezwungen, gezerrt, verletzt, eingekerkert, gejagt, verschleppt … Auch über diese Zeilen kritzelte ich Zickzacklinien.
     
     
    Ich konnte nicht mehr schlafen. Meine Blase drückte und ich war total steif. Ich wollte mich bewegen. Vorsichtig versuchte ich die Knie anzuziehen. Ich rollte die Zehen ein und fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen. Meine Arme fühlten sich schwach an, als ich mich von der Matratze hochstemmte, und meine Beine zitterten beim Aufstehen.
    Ich nahm mir frische Sachen aus der Kommode und zog sie an. Die Shorts hingen mir lose um die Hüften, mein Bauch war ganz flach. Ich ging ins Bad und pinkelte in das tiefe Loch. Dann drehte ich den Wasserhahn auf. Mit einem Gluckern kam er in Gang und spuckte stoßweise heißes, braunes Wasser aus. Ich wusch mir das Gesicht, dann hielt ich den Kopf unter den Wasserhahn und trank gierig. In dem winzigen gesprungenen Spiegel sah ich, wie mir die Tropfen übers Gesicht liefen. Meine Augen waren geschwollen, meine Nase schälte sich von den paar Sonnenstrahlen, die ich erwischt hatte. Ich wirkte älter als sonst.
    Du warst in der Küche. Dein Kopf war über den Tisch gebeugt und du hast etwas gelesen, das in Handschrift auf einzelnen Blättern stand. Du warfst mir einen kurzen Blick zu, dann schautest du wieder nach unten. Kleine Glasbehälter standen auf dem Tisch, manche mit Flüssigkeit gefüllt, andere leer. Einen Behälter hieltst du gegen das Licht, dann notiertest du etwas. Die Schublade, die bis jetzt immer abgeschlossen war, stand offen, trotzdem konnte ich nicht erkennen, was drin war. Aber auf der Bank neben der Schublade lag etwas, das wie eine Nadel aussah.
    Mir wurde flau. Alles sah nach Drogen aus. Vielleicht war es das Zeug, das du mir eingeflößt hattest, vielleicht aber auch irgendwas, das du mir noch verpassen wolltest. Ich verschwand schnell aus der Küche. Du blicktest nicht mal hoch. Ausnahmsweise warst du in etwas anderes vertieft.
    Ich ging durch den kleinen Vorbau, vorbei an dem Regal mit den Batterien, und betrat die Veranda. Bis sich meine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, blickte ich nach unten. Als ich hinausschauen konnte, ohne die Lider zu sehr zusammenzukneifen, machte ich ein paar Schritte, beugte mich über die Brüstung und starrte über den Sand zu den Separates. Der Zaun, den du gebaut hattest, stand immer noch; die Felsblöcke darin wirkten so still wie eh und je. Kein Mensch könnte sich vorstellen, wie viel Grün, wie viel Leben zwischen diesen Felsen verborgen war, keiner würde glauben, dass da drin

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