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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
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Vögel zwitscherten. Diese Felsen waren abweisend und sonderbar. Genau wie du.
    Ich blickte in den strahlend blauen Himmel. Da oben gab es keine Flugzeuge und auch keine Hubschrauber. Niemand kam, um mich zu retten. Die ganze Zeit, als ich im Bett lag, hatte ich mir vorgenommen, groß das Wort Hilfe in den Sand zu schreiben, aber diese Idee war komplett dämlich, weil überhaupt nie jemand über diese Gegend flog. Ich drehte mich und schaute in alle Richtungen: Horizont, Horizont, die Felsen der Separates, Horizont, Horizont, Horizont … es gab überhaupt gar nichts, wohin ich hätte laufen können.
    Ich hörte deine Schritte auf dem Holzboden und das Schnappen der Tür, bevor du die Veranda betratst.
    »Du bist aufgestanden«, sagtest du. »Schön.«
    Ich wich ein paar Schritte zurück Richtung Sofa.
    »Warum heute?«, fragtest du mit einem Gesichtsausdruck, als wolltest du es wirklich wissen.
    Aber ich war viel zu traurig. Ich wusste, dass diese Traurigkeit aus mir heraussprudeln würde, sobald ich den Mund aufmachte. Und ich wollte nicht, dass du irgendwas von mir bekamst, nicht mal das. Doch du warst hartnäckig.
    »Schöner Tag«, sagtest du, »heiß und still.«
    Ich drückte mich gegen das Sofa. Krallte mich an der Lehne fest, bis das Rattanrohr knarrte.
    »Willst du was essen?«
    Ich starrte unbewegt geradeaus, betrachtete die Krater in den Felsen.
    »Setz dich«, sagtest du.
    Ich tat, was du wolltest, keine Ahnung, warum. Deine Stimme hatte diesen Tonfall, der es mir schwer machte, mich zu widersetzen, der meine Beine vor Angst schwach werden ließ.
    »Warum reden wir nicht?«
    Ich zog die Füße hoch. Ein Windhauch trieb Sandkörner über die Erde. Ich schaute den Sand an, der ein paar Meter vor uns herumwirbelte.
    »Erzähl mir was, irgendwas – über dein Leben in London, deine Freunde, meinetwegen auch über deine Eltern!«
    Deine Worte waren so laut, dass ich erschrak und mich noch tiefer in den Sitz drückte. Ich wollte dir nichts erzählen, schon gar nicht über sie. Ich schlang die Arme um die Knie. Was Mum wohl gerade tat? Ob mein Verschwinden die beiden wohl sehr aus der Fassung gebracht hatte? Was hatten sie alles unternommen, um mich zu finden? Ich umklammerte meine Beine noch fester und versuchte jetzt, ihre Gesichter aus meinem Innern zu verscheuchen.
    Eine Weile lang hast du gar nichts gesagt, nur in die Landschaft gestarrt. Unauffällig beobachtete ich, wie du mit Daumen und Zeigefinger an deiner Augenbraue herumfummeltest. Du fühltest dich unwohl hier auf der Veranda. Mir war klar, was in dir vorging: Du versuchtest, dir irgendwas einfallen zu lassen, über das du mit mir reden könntest, was mich interessieren würde. Dein Kopf kam ins Schwitzen vor lauter Anstrengung. Schließlich hast du die Ellbogen aufs Geländer gestützt und einen kaum hörbaren Seufzer ausgestoßen. Mit ganz leiser Stimme begannst du zu sprechen.
    »Ist es denn wirklich so schlimm?«, fragtest du. »Mit mir zu leben?«
    Ich öffnete die Lippen, atmete aus und wartete gut eine Minute. »Klar«, flüsterte ich schließlich.
    Im Nachhinein denke ich, dass mehr in diesem einen Wort lag … ein Bedürfnis, mit dir in Verbindung zu treten, oder vielleicht auch nur der Wunsch, meine Stimme nicht ganz zu verlieren. Denn dieses Gefühl hatte ich in dem Moment, als der Wind blies und den Sand herumfegte – das Gefühl, als könnte dieser Wind auch meine Stimme von mir fortblasen, einfach so. Ich verschwand mit diesen Sandkörnern, wurde wie sie in alle Himmelsrichtungen verstreut.
    Doch du hörtest nur dieses eine Wort. Schockiert, wie du warst, wärst du beinahe von der Veranda gekippt. Dann fingst du dich wieder, legtest die Stirn in Falten und dachtest über meine Antwort nach.
    »Es könnte schlimmer sein«, sagtest du.
    Du hast diesen Satz einfach so stehen lassen. Was konnte schlimmer sein? Sterben? Aber war das wirklich schlimmer, als mitten im Niemandsland zu stranden und rauszuschauen ins Nichts … ohne Hoffnung, jemals wieder von dort wegzukommen? Und wahrscheinlich würdest du mich am Ende sowieso umbringen. Ich machte die Augen zu und versuchte mich an mein Leben daheim zu erinnern. Das bekam ich immer besser hin. Wenn ich mir genug Zeit nahm, konnte ich Stunden damit verbringen, mir jede einzelne Kleinigkeit vorzustellen, mit der ich meine Tage verbracht hatte. Doch du hieltst mich ab vom Träumen. Ich hörte dich mit den Kappen deiner Stiefel gegen das Geländer stoßen. Bald wurde ein Rhythmus daraus.

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