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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
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nach draußen und blinzeltest in die sinkende Sonne, in jeder Hand ein Glas Wasser. Eine halbe Ewigkeit lang bliebst du an der Tür stehen, anscheinend in der Hoffnung, dass ich deinen Blick erwidern würde. Als ich das nicht tat, kamst du zu dem Rattansofa herüber und hieltst mir ein Glas hin. Ich griff nicht danach, obwohl ich etwas trinken wollte. Am Ende stelltest du es neben mir auf dem Boden ab und bewegtest dich ein paar Schritte weg. Du behieltst mich im Auge. Vermutlich hofftest du, dass ich wieder etwas sagte. Ich weiß nicht, warum; denn du kamst mir nicht vor wie jemand, der gern redet. Ich schaute stattdessen dem Wind zu, der Sandkörner packte und sie irgendwo wieder fallen ließ, ganz egal wo.
    »Wer bist du?«, flüsterte ich.
    Diese Worte waren eher Gedanken als eine echte Frage an dich. Ich merkte nicht mal, dass ich sie laut ausgesprochen hatte, bis mir auffiel, wie du nach einer Antwort suchtest. Deine Stirn lag in Falten, dein ganzes Gesicht wirkte zerknautscht. Du hast einen Seufzer ausgestoßen.
    »Einfach Ty«, sagtest du. Du hattest dich vorn auf der Sofakante niedergelassen und fuhrst dir mit den Fingerspitzen über die Augenbrauen. Im kräftigen Orange des Sonnenuntergangs wirkten deine Augen noch heller als sonst. Es kam mir vor, als wären Sandsprenkel darin, einzelne Körner, die der Wind hineingewirbelt hatte. »Ich komme von hier, könnte man sagen.«
    Deine Stimme war leise und zögernd und klang ganz anders als sonst. Sie ließ mich an ein Büschel Spinifex denken, das der Wind vor sich hertrieb. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich vorbeugen und deine Worte auffangen, bevor sie weggeweht wurden.
    »Du bist Australier?«
    Du nicktest. »Denk schon. Ty heiße ich wegen dem Wasserlauf, an dem’s meine Eltern getrieben haben.«
    Du warfst mir einen forschenden Blick zu. Aber ich reagierte nicht; ich wartete einfach, dass du weiterredetest. Ich war mir fast sicher, dass du das tun würdest. Du strahltest so etwas aus, eine Art aufgestaute Energie, die freigesetzt werden wollte.
    »Mum war noch total jung, als sie mich bekommen hat«, fuhrst du fort. »Da waren sie und Dad schon gar nicht mehr richtig zusammen. Mum kommt aus einer total edlen englischen Familie. Die haben Dad gleich das Sorgerecht für mich übertragen, haben ihren Kram gepackt, sind zurück ans andere Ende der Welt und haben versucht, mich zu vergessen. Dad ist dann mit mir raus aufs Land. Er hatte ein paar Tausend Hektar Grund und eine Rinderherde. Das war unser Leben.«
    »Was ist dann passiert?«
    Ich sah, wie du dich auf der Suche nach einer Antwort im Sofa herumdrücktest. Dass du dich unwohl fühltest, gefiel mir. Es war wichtig für mich. Und ich bildete mir auch ein bisschen ein, ich könnte diese Antworten gegen dich verwenden, wenn ich endlich gerettet würde und man dich ins Gefängnis steckte. Du kautest an deinem Daumennagel und schautest hinaus in den Sonnenuntergang.
    »Am Anfang kam Dad noch ganz gut klar«, sagtest du. »Anscheinend war er da noch nicht komplett am Arsch. Er hatte sogar ein paar Leute angestellt – Farmhelfer und eine Frau, die auf mich aufgepasst hat … ihren Namen weiß ich nicht mehr.« Du unterbrachst dich und überlegtest. »Mrs Gee oder so ähnlich.« Du zogst die Augenbrauen hoch und sahst mich an. »Ist doch egal, oder?«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Sie hat mir auch was beigebracht, war sozusagen meine Lehrerin. Sie und die Oldfellas und die Farmhelfer.«
    »Die Oldfellas?«
    »Aborigines aus der Umgebung, die auf Dads Hof gearbeitet haben. Denen gehört das hier eigentlich. Sie haben mir alles über das Land beigebracht, während Mrs Gee mir Mathe und den ganzen andern Mist einzutrichtern versucht hat. Und von den Farmarbeitern hab ich gelernt, wie man sich besäuft. Gute Schule, was?« Du hast schief gegrinst. »War aber okay da draußen.«
    Es war total eigenartig, dich so viel reden zu hören; normalerweise sagtest du nicht mehr als ein paar Wörter auf einmal. Außerdem hatte ich nie dran gedacht, dass du auch eine Geschichte haben könntest. Bis zu dem Moment warst du für mich einfach nur der Entführer. Du hattest keinen Grund für das, was du machtest. Du warst dumm, böse und geisteskrank, fertig. Doch als du zu reden begannst, fingst du an, dich zu verändern.
    »Waren da noch andere Kinder? Wo du aufgewachsen bist?« Du sahst mich scharf an. Aber mir gefiel, dass sich meine Stimme aggressiv und fordernd anhörte, dass sie dich einen Moment lang zögern

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