Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
Vom Netzwerk:
golden.
    Ich sah zu dir hinüber, konnte den Blick nicht von den blonden Haarsträhnen lösen, die dir in die Augen fielen.
    »… du?«
    Du hast deine Hand mit einer solchen Wucht gegen den Verandapfosten gedonnern, dass der ganze Vorbau schwankte.
    »Ich wollte, dass du’s liest !« Du schnapptest die Blätter von meinem Schoß. »Gib das zurück, wenn du’s nicht tust.«
    Du nahmst mir auch das Foto weg, aber so, dass es nicht zerknickt wurde. Behutsam hast du es in deine Hemdtasche gleiten lassen und auch den Brief dazugesteckt. Du sprachst leise, als würdest du mit dir selbst reden.
    »Sie hat mich in dem Brief gebeten, dass ich zu ihr ziehe«, erklärtest du. »Sie wäre schon zu lang allein.«
    »Und was ist passiert?« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
    Du beugtest dich über mich. Langsam öffnetest du deine Faust, strecktest die Finger aus und hieltst sie mir vor die Augen. Ich sah das dunkle Blut auf deiner Handfläche, das schon trocknete. Ich drehte mein Gesicht weg, aber du zogst es wieder zu dir her und zwangst mich, dich anzuschauen. Deine Fingerspitzen berührten mein Haar.
    »Die Elphington Street Nummer 31a war ein besetztes Haus«, sagtest du. »Kacke an den Wänden, tote Spatzen im Kamin. Irgendein Dealer hat mich beinahe kaltgemacht, als ich an die Tür geklopft habe.«
    »Und deine Mum?« Es war schwer, die Worte rauszubringen, während ich im Schraubstockgriff steckte.
    »Sie war nicht da. Anscheinend ist sie eine Woche vorher von dort weg.« Dein Blick driftete in die Ferne, als du dich erinnertest. »Ich hab überall nach ihrer neuen Adresse gefragt, aber ohne Erfolg. Die haben gesagt, sie würde so tief in der Scheiße stecken, dass sie nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen.«
    Ich versuchte mich aus deinem Griff zu winden. Aber du hast mich nicht losgelassen. Im Gegenteil, du packtest mich nur noch fester und bewegtest deine Lippen bis dicht vor mein Gesicht. Dein Atem roch nach deinen selbst gedrehten Zigaretten.
    »Irgendwann hab ich dann eine Telefonnummer aufgetrieben, unter der sie zu erreichen war. Ich hab den Fetzen Papier tagelang mit mir rumgetragen, weil ich keinen Mumm hatte anzurufen; am Ende konnte ich die Nummer auswendig. Als ich’s dann doch gemacht habe, war eine alte Frau dran, die mich gefragt hat, ob ich Geld hätte. Als ich Nein gesagt habe, meinte sie, sie wüsste nicht, von wem ich rede. Aber diese Stimme …« Du holtest tief Luft. »… die hat sich halb tot angehört; besoffen, auf Drogen oder so … genau wie Dad manchmal.« Du machtest eine Pause. »Weißt du, ich frag mich immer wieder, ob sie nicht doch selbst am Telefon war, ob es ihre Stimme war.«
    Ich hielt deinem Blick stand. Langsam versuchte ich, mein Gesicht ein Stück von dir wegzukriegen.
    »Ich hab trotzdem weitergesucht«, sagtest du. »Hab alle Absteigen und Notunterkünfte durchgekämmt, wollte sie unbedingt finden. Verdammte Scheiße! Ich hatte vorher noch nie Schnee gesehen, ich hab alles da gehasst, vom ersten Tag an. Ich hatte kein Geld, um wieder heimzukommen, hatte nichts zu tun, hatte überhaupt niemanden, also …«
    Du brachst ab und hast mich endlich losgelassen. Ich bewegte meinen Unterkiefer, um zu testen, ob er okay war. Als ich wieder zu dir hochblickte, schautest du besorgt und strecktest die Finger aus, als wolltest du meine Wange berühren.
    Ich schüttelte den Kopf. Dein Gesicht verkrampfte sich. Ich drückte mich zurück ins Sofa. Du knalltest deine Hand neben mir in ein Kissen. Wir betrachteten sie beide. Zitternd lag sie da, etwa dreißig Zentimeter entfernt von mir. Dann nahmst du sie weg und stecktest sie in die Hosentasche. Du gingst einen Schritt auf den Pfosten zu und blicktest in die Landschaft.
    »Hast du mich zu der Zeit gefunden?«, fragte ich leise. »Damals in London, als du deine Mutter nirgends finden konntest?«
    Du gabst keine Antwort. Stattdessen stürmtest du über die Veranda und sprangst in den Sand. Du rammtest die Faust in deinen Sandsack, gingst tief in die Hocke und machtest von da aus weiter. Du brülltest bei jedem Aufprall deiner verletzten Hand. Dann knalltest du beide Arme hart gegen den Sack und liefst rüber zu den Felsen. Ich lauschte auf das rhythmische Pendeln des Sandsacks, das langsamer wurde und verklang. Irgendwann später hörte ich von den Felsen her das Echo von etwas, das vielleicht ein Schrei von dir war.
     
     
    Irgendwann war es dann später Nachmittag und du warst immer noch nicht zurück. Es war die Zeit, zu der

Weitere Kostenlose Bücher