Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
deine Schultern verkrampften, als ich es auf dem Boden abstellte. Dann setzte ich mich ganz an den Rand vom Sofa. Von der Größe her konnte es gut sein, dass du der Typ in dem Kapuzenshirt warst. Aber die Geschichte, die du mir erzählt hattest, dazu deine Art, über mich Bescheid zu wissen … das war einfach zu gespenstisch, zu verrückt. Und da waren noch so viele andere Dinge, die für mich überhaupt keinen Sinn ergaben. Warum dieser Zeitpunkt? Warum hattest du mich verfolgt über all die Jahre? Warum ausgerechnet mich?
»Wieso hast du Australien verlassen?«, fragte ich. »Was wolltest du überhaupt in England?«
Du hast mir keine Antwort gegeben. Langsam bewegtest du dich auf einen Verandapfosten zu und lehntest die Stirn dagegen. Du machtest die Augen zu. Aber ich bedrängte dich, wollte endlich begreifen, was mit dir los war.
»Warum?«
Du schütteltest den Kopf, das Glas fest im Griff. Dann drehtest du dich plötzlich zu mir.
»Ich hab einen Brief gekriegt«, sagtest du. »Okay?«
»Was für einen Brief?« Ich sah, wie deine Fingerspitzen weiß wurden. »Was stand drin?«
Du machtest den Mund auf, als wolltest du’s mir erzählen, aber dann kam nichts, nur ein tiefer Atemzug. »Keine Ahnung …« Deine Finger umklammerten das Glas jetzt so fest, dass ich dachte, es würde gleich zerbrechen. Du folgtest meinem Bick und schautest selbst auf deine Finger. »Keine Ahnung, wie sie mich gefunden hat.«
Ich setzte mich anders hin. Auf einmal war ich neugierig. »Von wem sprichst du?«
Mit Wucht knalltest du das Glas auf die Brüstung, es zerbrach noch in deiner Hand. Deine Augen wurden groß, als du die gezackten Scherben sahst.
»Von meiner Mum, okay?«, flüstertest du. »Sie hat mich gefunden.«
Ein Rinnsal Blut lief dir am Handgelenk herunter. Die Scherben klirrten dumpf, als sie auf den Boden fielen. Ich betrachtete die vier fast gleich großen Stücke Glas und blickte dann wieder auf deine Hand. Blut sickerte zwischen deinen Fingern hervor. Deine Augen waren noch immer weit und wirkten verstört. Du wolltest die Scherben aufsammeln, aber als du sahst, dass ich dir dabei zuschaute, zucktest du zurück und verstecktest die Hand hinter deinem Körper. Du drehtest auch dein Gesicht von mir weg und zogst die Schultern hoch vor lauter Anspannung. Noch ein Wort und du würdest explodieren. Ich wartete eine Weile, bevor ich wieder zu sprechen begann, und als ich es endlich tat, kamen meine Worte zögerlich.
»Ich dachte, deine Mutter wäre nach deiner Geburt verschwunden?«
»Ist sie auch.« Du beugtest dich über deine Faust, öffnetest sie und schautest dir deine Verletzung an. »Aber sie hat mich gefunden«, flüstertest du. »Ich weiß nicht, wie. Kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag hat sie mir einen Brief geschrieben.«
»Warum?« Das Wort war leiser als ein Atemzug. Aber es hing zwischen uns. Dein Rücken war so hart wie der Pfosten, an dem du lehntest. Gar nichts an dir regte sich.
»Sie hat geschrieben, dass sie mich sehen will. Hat mir ihre Adresse geschickt: 31a, Elphington Street. London.«
»Das ist bei mir in der Nähe.«
»Ich weiß.«
»Also hast du sie besucht.«
»Das wollte ich. Meine Pflegeeltern haben mir Geld geliehen.«
»Und dann?«
»Die waren froh, dass sie mich los waren.«
»Ich meine mit deiner Mum.«
Du drehtest dich um. In deinem Gesicht spiegelten sich die verschiedensten Gefühle wider. »Willst du das wirklich wissen?«
Ich nickte. In drei großen Schritten bist du über die Veranda gefegt und hast die Tür hinter dir zugeknallt. Dann hörte ich dich im Haus herumpoltern, eine Schublade öffnen. Ich wartete. Die Tür ging mit Schwung wieder auf und knallte gegen die Hauswand. Du drücktest mir etwas in die Hand: einen Briefumschlag.
»Lies«, blafftest du.
Ungeschickt fummelte ich an dem Umschlag herum. Meine Hände zitterten, als ich die dünnen Blätter herauszog. Auch ein Foto fiel heraus, es landete in meinem Schoß. Ich nahm es in die Hand.
Es war alt und vergilbt und an den Rändern ein bisschen zerknittert. Da war ein Mädchen, etwa in meinem Alter, sie hielt ein Baby eng an ihre Brust geschmiegt. Trotzig und herausfordernd starrte sie in die Kamera. Ich schnappte nach Luft, als ich ihre langen dunklen Haare und ihre grünen Augen betrachtete. Sie sah ein bisschen so aus wie ich. Das Baby in ihrem Arm wirkte winzig, es war fest in Krankenhausdecken gewickelt. Aber seine Augen waren blau wie das Meer und die eine Locke auf seinem Kopf glänzte
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