Ich zog mit Hannibal
der diese Frage stellte. Ein Schatten fiel zwischen Silenos und mich. Karthalo stand hinter uns.
»Ich habe dich überall gesucht«, warf er mir vor.
»Setz dich zu uns!«, forderte Silenos ihn auf. »Wir sprechen über Karthago.«
»Was du sagtest, genügt mir«, fuhr ihn Karthalo an. »Ich war nicht zu Ende«, sagte Silenos ruhig.
»Ich will nur eins von dir wissen«, verlangte Karthalo. »Wäre es an dir gewesen, den Römern eine Antwort zu geben – hättest du Krieg gewählt?«
»Nein«, sagte Silenos. Er stand auf.
Da trat Karthalo drohend auf ihn zu. »Bist du ein Römer?«
»Wäre ich dann hier?«, fragte Silenos, ohne sich zu erregen.
»Wer kann bei dir sicher sein, wie lange du mitmachst!«, polterte Karthalo.
»Du vergisst, wer mich zu seinem Schreiber gemacht hat«, verwahrte sich nun Silenos.
Da lenkte Karthalo ein. »Ein Verräter bist du nicht«, sagte er, »so siehst du nicht aus. Aber du denkst zu viel, darum bist du anders als wir alle.«
»Das ist möglich«, sagte Silenos.
Auf dem Wege ins Lager machte er einige Versuche, mit Karthalo ins Gespräch zu kommen, doch Karthalo blieb unzugänglich. Im Zelt aber redete er mit mir bis tief in die Nacht: über den Krieg und die Römer, die Römer und den Krieg. »Lass dir von deinem Griechen erzählen, wozu Rom fähig ist«, hetzte er. »Frag ihn, ob Rom sich mit Räubern zusammentat,um uns in Sizilien in den Rücken zu fallen! Frag ihn, ob Rom uns Sardinien wegnahm, als uns die Hände gebunden waren – während der Meuterei der Söldner nach dem ersten verlorenen Krieg! Frag ihn, ob Rom mitten im Frieden die Tribute erhöhte, um Karthago an Schulden ersticken zu lassen! Hätte nicht Barkas die Meuterer in den Schluchten des Atlas mit Elefanten zerstampft und nicht Iberien mit seinen Silberminen zu einem neuen Karthago gemacht, wir wären an Schulden erstickt, wie Rom es wollte. Nun wird an Rom zurückgezahlt, was es uns antat. Am Ende wird es so sein, wie es einmal war: Kein Römer wird sich die Hände im Meer waschen können, wenn wir es nicht erlauben. Die Römer haben den Krieg angefangen, nicht wir«, behauptete er und er zählte Stadt um Stadt auf, zerstört durch die Römer. Plötzlich wurde er stutzig. »Du denkst an Sagunt«, sagte er mir auf den Kopf zu.
»Ja«, sagte ich.
»Von Rom zerstört«, erklärte Karthalo ohne Zögern.
Ich sah ihn verständnislos an. Da hörte er auf, laut zu reden. »Du denkst an den roten Mantel«, sagte er in ruhigem Ernst. »Du denkst an die Widder und Skorpione und Elefanten, die gegen Sagunt anrückten.«
»Es waren doch aber Karthager, die Sagunt belagerten und zerstörten«, wandte ich verwirrt ein.
»Und was war vorher?«, wollte Karthalo von mir wissen. »Wurden nicht Männer, die für Karthago geredet hatten, von den Mauern Sagunts gestürzt?«
Ich wusste, dass das geschehen war, und widersprach nicht.
»Und warum war es so weit gekommen?«, forschte Karthalo weiter.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Ich will es dir sagen«, fuhr er in einem Ton fort, der mich aufhorchen ließ. »Römer hatten in Sagunt gegen uns gehetzt. Rom wollte, dass dort etwas getan werde, das Hannibal zwang, Sagunt anzugreifen. Rom hatte sich mit Sagunt nur deshalb verbündet, um in das neue Karthago einen Stachel zu treiben. Rom trieb es so weit, dass Sagunt zu einem Dorn im Auge Hannibals wurde. Ist ihm zu verdenken, wenn er den Dorn aus seinem Auge ausriss? Als er es tat, rührte Rom einen Finger, um Sagunt zu retten? Rom sah von weitem zu, als Sagunt unterging. Sagunt hatte getan, was ihm von Rom bestimmt worden war – Rom ließ es fallen.«
Er hat Recht, dachte ich betroffen, kein Römer war da, uns zu helfen. Es war kein Römer, der mich aus dem Schutt zog; Karthalo, ein Karthager, hat es getan. Karthager nahmen sich meiner an, als ich niemanden mehr auf der Welt hatte. Hannibals Elefant war es, der mir das Leben rettete. –
»Rom hat dich verraten.« Karthalo sprach es wie ein Urteil aus.
Dann beugte er sich zu mir. »Mein kleiner Karthager! Hannibal wird Sagunt an Rom rächen.« Wie an dem Tage, an dem er mich aus den Trümmern Sagunts geholt hatte, richtete er mir das Lager. Ich lag lange mit offenen Augen, nachdem Karthalo die Lampe gelöscht hatte, und starrte ins Dunkel, das über mir im Zelt hing. Ich sah Hannibal vor mir; sein roter Mantel hatte für mich nichts Schreckliches mehr.
11
In den Wochen, die nun kamen, hatten Tag für Tag die Waffen das erste und letzte Wort.
Weitere Kostenlose Bücher