Ich zog mit Hannibal
still. Das Gebirge schwieg. Jeder von uns wusste, dass es nun kein Ausweichen mehr gab. Da trat einer der Elefanten einen Stein los. Der Stein machte Sprünge und brachte eine Steinlawine ins Rollen, die polternd zu Tal ging. Dann wurde es totenstill. Suru machte größere Schritte. Er hatte Angst und ich spürte, dass seine Angst zunahm. Ich selbst hatte Angst und sah Karthalo an.
»Kein Grund, Angst zu haben«, sagte Karthalo und seine Stimme war rau.
Da kam von oben ein Stein. Wir hörten die dumpfen Aufschläge. Es musste ein gewaltiger Brocken sein. Mensch und Tier fuhren zusammen. Der Zug kam zum Stehen. Suru stand, als wäre er ein für allemal an die Stelle gerückt, die er mit dem letzten Schritt erreicht hatte. Die Ohren standen wie Bretter ab und der Rüssel war gegen den Hang hin gestreckt.
Der Felsbrocken wuchtete zwischen dem vierten und fünften Elefanten in die Tiefe; er tat keinem etwas zu Leide. Einige Elefanten aber verloren den Kopf, wollten umkehren, was auf dem schmalen Weg schwierig war, oder versuchten den Hang hinab zu entkommen. Einer glitt aus, überschlug sich und stürzte dem Brocken nach.
Die Indos gaben sich alle Mühe, die Elefanten zur Ruhe zu bringen. Die Tiere wurden nur noch aufgeregter. Da trompetete Suru und sein Ruf war stärker als alle Treiberbefehle. Die Elefanten sammelten sich.
Dann aber begannen große und kleine Brocken den Berghang niederzurollen. Menschen und Tiere wurden getroffen. Schreie zerrissen die Luft. Die Söldner erhielten Befehl, den Hang zu ersteigen. Die nasse Grasnarbe bot wenig Halt. Von Steinen verwundet, stürzten Söldner und Pferde den Steilhang hinab. Die größte Verwirrung entstand beim Tross. Tragtiere kamen in ihrer Angst vom Weg ab, verloren das Gleichgewicht und überschlugen sich mit ihren Lasten.
»Das ist die Hölle!«, schrie Karthalo.
Für den Zug, der zwischen Bergwand und Abgrund eingekeilt war, gab es weder ein Ausweichen noch die Möglichkeit, sich zu wehren. Vom Feind, der uns das alles antat, war nichts zu sehen. Wir waren ihm ausgeliefert und konnten nichts tun, als uns fürchten. Einen Augenblick überfiel mich der verrückte Gedanke, dass die gewaltigen Berge selbst es waren, die versuchten, uns abzuschütteln und zu vernichten.
In meiner Angst war ich vom Rücken Surus geglitten und hatte mich zwischen seinen Vorderbeinen verkrochen. Ich zitterte. Sah so der Krieg aus? Das war ganz anders als auf dem Sandfeld. Ich blickte an Suru empor. Er hatte den Rüssel im Maul – auch er hatte Angst. Solange die schrecklichen Steine den Hang niederkamen, dachte ich unaufhörlich: Wenn es nur Suru nicht trifft, nur Surunicht. Ich weiß nicht, wie lange ich mich unter Suru verbarg. Da sah ich, dass er den Rüssel aus dem Maul nahm und ihn einem Mann, der von vorne kam, entgegenstreckte. Eine Hand griff nach mir und zog mich zwischen den Beinen des Elefanten hervor.
»Was treibst du da unten?« Es war Hannibal.
Ich sah verstört zu ihm auf. »Ist es zu Ende?«
»Es fängt erst an«, gab er zur Antwort. Seine Augen funkelten. Ich horchte den Hang hinauf.
»Es kommt nichts mehr«, versicherte Hannibal. »Sie haben heruntergerollt, was sie hatten. Jetzt gehen sie schlafen – bis wir sie wecken!«
Söldner sammelten sich um Hannibal. Einer von ihnen blutete an der Stirne.
»Was für feiges Gesindel!« Hannibal deutete nach oben. »Lassen die Berge auf uns los und verkriechen sich!« Er fasste den Verwundeten an der Schulter. »Dass du blutest, kommt sie teuer zu stehen. Morgen spucken wir ihnen auf die Köpfe.«
Nun kamen auch die Indos nach vorne, die ihren Elefanten verloren hatten. Es waren sechs. Zwei weitere Treiber waren mit ihren Elefanten in die Tiefe gerissen worden.
»Morgen schicken wir sie in den Abgrund«, knirschte Hannibal. Er bestieg Suru und bestand darauf, dass ich mich auf den Sattel des Treibers setzte. »Du geh voraus«, befahl er Karthalo, »wir wollen Suru nicht zu viel aufladen. Ihn brauche ich noch länger.« Wir ritten los. »Und auch dich«, sagte er zu mir.
»Ich hatte Angst«, sagte ich beschämt.
»Ich auch«, sagte Hannibal. »Aber man kann nicht ewig Angst haben.«
Er stieß leicht an meine Schulter. »Auch jetzt noch Angst?«
»Nein«, sagte ich. Es war keine Lüge. Meine Angst war weg, seit Hannibal hinter mir saß.
19
Der Regen hörte auf. Schon nach einer halben Stunde erreichten wir ein Hochtal, das für ein Lager Platz genug bot. Es wurde rasch dunkel. Vom Feind war auch jetzt
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