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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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als der nach unten gerichtete Auspuff das Wasser im Schlamm unter ihnen zum Kochen brachte, in einem Nebel von Dampf durch die Birken.

 
III
DIE WAHREN LIEBESGESCHICHTEN
     
    Morag kam aus dem Süden herauf, aus einem Fischerdorf an der Ostküste, wo Möwen wie schmutzige Stoffetzen auf den verrosteten Gerippen von gestrandeten Bohrinseln hockten.
    Sie reiste des Nachts und zu Fuß, folgte den zerbröckelten, mondhellen Bahnen der alten Straßen und vermied die verlassenen Städte, weil sie verwünscht waren. Sie schlief in Autowracks und stahl ein wenig Nahrung aus verkommenen Dörfern am Wegrand. Sie war im zehnten Monat schwanger, so lange schon, daß sie aufgehört hatte, das Kind zu erwarten, das ihr zweites war. Gelegentlich wurde sie von Wehen und Schmerzen geplagt, aber sie waren unfruchtbar: Es war fast, als erwartete das Kind das Leben außerhalb von ihr als das, was es war: eine Grausamkeit. Sie redete mit ihm, aber nichts konnte es herauslocken.
    Komm heraus.
    Zu kalt und nichts, wohin man sich wenden kann.
    Komm heraus, dann wärme ich dich.
    Kein Grund, sich hier zu bewegen, nichts bewegt sich hier.
    Es hatte Zeiten gegeben, bevor sie die Fischergemeinde verlassen hatte, da hatte sie den Verlust ihres mageren, noch jugendlichen Körpers beklagt. Dieser teilweise Niedergang ihrer Jugend hatte ihre Abreise beschleunigt: Als sie an dem Abend, der auf den Tod ihres ersten Kindes gefolgt war, über die graue, versandete Meeresbucht hinausgeblickt hatte, hatte sie gespürt, wie die Niedergeschlagenheit, gepaart mit dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das die gestrandeten Riesen von Küstenluftkissenfahrzeugen umgab, eine machtvolle, aber unbestimmte Unzufriedenheit hervorrief. Formlos und schwer, ohne daß sich etwas durch die ziellose Reise nordwärts gelöst hätte, hatte sie sich nun an ihre eigene Unbeholfenheit gewöhnt und ihre Gründe für das Verlassen des Dorfes vergessen. Sie war zwanzig Jahre alt.
    Es war ihr Stehlen, das schließlich das Kind heraustrieb: Sie stahl eines Nachts ein wenig Brot, und sie fanden sie am nächsten Morgen.
    Sie schlief in einem Ginsterdickicht, in einem Tunnel zwischen den dicken, faserigen Stämmen, über ihr grünes Blattwerk. Im Schlaf lastete der Ginster über ihr, und etwas beobachtete sie durch ihn hindurch, ohne einen Laut von sich zu geben: Sie hatte ein unbestimmtes Gefühl für drohendes Unheil, konnte aber nur ihre eigenen Fußtritte hören. Sie erwachte plötzlich, um festzustellen, daß sie in einen strahlenden Lichtfleck mit zerfetzten Rändern starrte, über den helle Wolken huschten. Er umrahmte das Gesicht eines Kindes, das, braun und runzelig, drohend über sie gebeugt war. Seine mageren, schorfigen Hände hatten den Ginster beiseitegeschoben. Seine Beine ragten in den Tunnel und berührten fast ihren ausgestreckten Körper. Es blickte mit gleichgültigem Interesse auf sie hinunter. »Hallo«, sagte sie.
    Das Kind starrte sie mit sehr weit aufgerissenen Augen an, drehte sich dann um und stolperte schnell durch die Büsche davon. Es hatte den halben Laib neben ihr gesehen. Das Blattwerk schnellte an seinen Platz zurück, verdunkelte leise raschelnd den Himmel, und sie war wieder allein im Tunnel. Sie wußte, daß sie besser aufstehen und fortgehen sollte. Das Kind hatte das Brot gesehen. Kinder vergaßen es nicht, weil sie nie genug zu essen bekamen. Sie war wieder eingeschlafen, als sie kamen, um sie zu suchen.
    Zwei Frauen mit grobknochigen, ausgemergelten Gesichtern und wirrem, kurzgeschnittenem Haar durchstöberten das Ginsterstück und redeten laut miteinander. Morag erwachte angespannt, sah aber keinen Sinn in dem Versuch, fortzulaufen. Ihr Bauch machte sie langsam. Sie waren häßlich. Das Gesicht der einen war mit Warzen bedeckt, große, rissige Auswüchse; der anderen wuchsen dicke, schwarze Haarbüschel auf den Wangenknochen. Sie trugen weite Röcke, die sie mit großen, roten Händen von den Ginsterspitzen fernhielten.
    Morag versuchte, durch den Tunnel fortzukriechen, und sie entdeckten sie. Die Warzige zerrte sie hoch und spie ihr ins Gesicht. Ihre lange Oberlippe wölbte sich wie die eines Pferdes, ihre Augen waren leer. Morag schrie auf, biß um sich, die Augen flößten ihr Entsetzen ein. Die andere schlug sie nieder.
    »Du trächtiger kleiner Bastard«, sagte sie grinsend.
    Sie zerrten sie ins Dorf und stellten sie mitten auf eine pockennarbige, bröckelige Straße zwischen fahlen Hütten. Kloakengestank hing in der Luft.
    Frauen

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