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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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glänzte vor Schweiß. In seinen von Äderchen durchzogenen blauen Augen lag ein gehetzter Zug des in die Enge getriebenen Seins. Er sagte (sein Gesicht wurde dabei lebhaft, sein brauner, verfallener Mund klappte auf wie der einer Marionette): »Es wird nicht lange dauern, Harper. Im übrigen wird Pauce mit diesem Bein nirgendwo hingehen.«
    Seine Stimme war schrill, aber drängend, eine ungeduldige alte Stimme, die erhoben wurde, um sowohl gegen die Turbine als auch gegen das Schreien des Kindes in seiner Armbeuge anzukommen.
    In den steifen, speckigen Stoff seines Mantels gedrückt, mit ziel- und kraftlos zuckenden Armen und Beinen, wurde sein Weinen von trockenen Schluchzern unterbrochen. Ungeachtet seiner moderfarbenen, schwärigen Haut verspürte sie eine plötzliche Gefühlswallung, nicht der Mütterlichkeit, sondern der Zusammengehörigkeit. Er schien unendlich wehrlos. Sie stellte eine Verbindung auf animalischer Ebene her: eine gemeinsame Lage.
    Harper, der viel jünger war, folgte dem alten Mann dicht auf den Fersen und gestikulierte. Er war ganz nett.
    »Was ist mit dem anderen Turbo? Er hat ihn noch. Und die Dorfbewohner.«
    »Wir brauchen das Zeug. Hier sind irgendwo fünfzig Schuß Munition. Sie haben ohnehin nichts, das groß genug ist, um sich mit uns anzulegen. Sie würden eine Bombe brauchen, um diesen Wagen aufzubekommen. Mach dir keine Sorgen …«
    »Aber das ist es, was ich sagen will! Solange wir hier sind, sind wir nicht drin!«
    Weil es keinen Sinn hatte, sich zu verstecken und weil das Baby sie an ihr eigenes erinnerte, erhob sich Morag, als sie durch die Wildnis von Grundfarben und staubigem Chromgelb kamen. Sie tat es ohne Aufregung.
    Wendover blieb abrupt stehen, sein Kinn fiel herunter, und ein Krampf durchzog seinen Körper. Er fuhr mit der freien Hand in seine Manteltasche und preßte das Kind fester an sich, um es nicht fallenzulassen. Seine Augen waren weit aufgerissen. Er konnte die Hand nicht mehr aus der Tasche ziehen, als er sie einmal hineingesteckt hatte. Draußen stieg die Turbine zu einem Crescendo an und erstarb dann. Das Kind folgte seinem Schweigen, als wäre es ein organischer Bestandteil der Maschine.
    Harper sagte: »Was …?« Er hatte eine Pistole in der Hand.
    Morag versuchte zu lächeln. Sie wollte nicht erschossen werden.
    »Ich glaube, euer Baby hat Hunger«, sagte sie.
    Sie ging zu Wendover hinüber (er hatte aufgehört, in der Tasche zu wühlen, und starrte fassungslos von ihr zu dem Kind, als versuche er, eine Verbindung herzustellen) und berührte seinen Arm am Ellbogen.
    »Sie werden ihm wehtun, wenn Sie es so fest halten.«
    Seine Anspannung ließ nicht nach. Er schien ihr nicht zuzuhören. Harper sprang herbei und stieß ihr die Pistole genau unter der linken Brust in die Rippen. Er sah verwirrt aus.
    »Erschießt mich nicht«, sagte sie, »denn ich kann es füttern. Ich hatte eins. Die Milch ist noch da …« Sie wußte nicht, ob das stimmte. Sie begann, ihr Hemd aufzuknöpfen. Als sie zu der Stelle kam, an der der Pistolenlauf drückte, stieß sie ihn beiseite, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann streckte sie ihre Hände nach dem Kind aus, darauf gefaßt, daß die Pistole losging. Wendover zögerte, seine Augen suchten ihr Gesicht, und es lag noch etwas anderes darin außer dem Erstaunen. Harper hatte die Waffe ein wenig gesenkt, aber sie war sich ihrer Bedrohung noch immer bewußt.
    »Bitte«, sagte sie.
    Er gab ihr das Kind. Sie nahm es sanft in die Arme, und da sie spürte, daß der Höhepunkt der Gefahr erreicht und überschritten war, wandte sie sich ab. Seine Haut schmiegte sich warm und trocken an ihre. Sie hatte keine Schwierigkeiten mit dem Stillen. Hinter ihr hielt das Schweigen noch einen Augenblick an. Harper brach es.
    »Was, um alles in der Welt …«
    Über die Schulter sah sie, wie er seine Pistole betrachtete, als habe sie ihn betrogen. Er packte den alten Mann an der Schulter und schüttelte ihn.
    »Sie können nicht einfach … Wer, zum Teufel, ist sie?«
    »Ich glaube nicht, daß das eine Rolle spielt«, erwiderte Wendover. »Angenommen, das Kind kann von einer normalen Frau genährt werden – was unter den gegebenen Umständen augenscheinlich der Fall ist –, dann löst das ein Problem, das wir nicht einmal in Erwägung gezogen hatten.« Ein leises Lächeln huschte über sein müdes Gesicht. »Bist du in der Verfassung, ein Baby zu säugen, Harper? Oder Arm vielleicht? Ich selbst bin schon ein bißchen zu alt …«
    Harper setzte

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