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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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waren. Die Aufschrift auf den letzteren war frisch gemalt, in manchen Fällen noch feucht, grüne Ölfarbe lief an den Geschütztürmen und der Panzerung herunter.
    Die neue Republik war vierzig Stunden alt: Obtulowiczs Vierte war nach einem Unfall mit einer Maschinenpistole zusammengebrochen, und seinem Stellvertreter, Hall – der schließlich Hodgson und Innes auf seine Seite bringen konnte und damit im Generalstab die Mehrheit um eine Stimme und, was wichtiger war, die Kontrolle über Innes’ taktischen Verteidigungsflügel gewann – blieb es überlassen, die Verfassung erneut zu ändern. Das bedeutete nicht, daß sich das verfolgte Ziel änderte: Während des vorausgegangenen Monats, der Obtulowiczs Regierung umspannt und sogar noch eine kurze Zeit der Dritten Republik erfaßt hatte, hatte die Kolonne auf dieselbe zusammengewürfelte mobile Guerillagruppe von Anarchisten und Situationalisten Jagd gemacht.
    Ein einzelnes Marsden-Aufklärungsfahrzeug mit mannigfaltigen, sich drehenden Tellerantennen, dessen weiße Strahlenabwehrfarbe blasig und schlammverschmiert war, holperte schwerfällig fünfhundert Meter vor dem Haupttrupp her. Es war ursprünglich dafür entworfen, in Zusammenarbeit mit einem Hubschraubergeschwader und hochfliegenden Aufklärungsflugzeugen taktischen atomaren Beschuß zu lenken; aber die Flugzeuge waren wegen Treibstoffmangels an den Boden gefesselt, und selbst seine Wirksamkeit als Bodenortungsrelais war erheblich eingeschränkt.
    Der Marsden hinderte sie am Vorwärtskommen, und Arm langweilte sich.
    Sein Tuppen, eine Einzelanfertigung, an dessen Frontplatten ein Napalmgeschütz befestigt war, lag an vierter Stelle in der Kolonne. Wasser, das von dem voranfahrenden Wagen aufspritzte, zwang ihn, in regelmäßigen Abständen das Gesicht abzuwischen, und die nassen Flecken auf seiner Uniform standen in lebhaftem Kontrast zu den aus geblichenen Feldern, von denen die Embleme der Zweiten, Dritten und Vierten Republik entfernt worden waren. Gegenwärtig war seine Kampfjacke, abgesehen von den Streifen auf dem linken Ärmel, einfarbig. Er brachte es fertig, gleichzeitig die Zähne gegen das Vibrieren des Turbo zusammenzubeißen und eine Unterhaltung mit Block, seinem Kanonier, fortzusetzen.
    Block, der seinen Geschützturm verlassen hatte und unbequem hinter dem Fahrersitz kauerte, war ein großer, traurigblickender Hermaphrodit, dessen tief in den Höhlen liegende Augen einen Ausdruck von gehetzter Unbeständigkeit hatten. Vor dem Zusammenbruch der Regierung hatte er am Rande der Gesellschaft dahinvegetiert: hatte in verschiedenen schäbigen Clubs ein Instrument gespielt, das er als »schmutzige Harmonika« bezeichnete, auf dem Fußboden von komfortlosen Wohnungen anderer Leute geschlafen, auf der Straße gebettelt – einer der Unverbesserlichen der Städte, die nach der Auflösung des Systems, das sich nie wirklich um sie gekümmert hatte, zur Besinnung gekommen waren.
    Während der letzten Meilen hatte er sich sein mädchenhaftes, rotbraunes Haar mit einer Plastikbürste gekämmt. Mit wenig Erfolg: Der Fahrtwind vom Sichtschlitz peitschte es immer wieder über sein mehlfarbenes Gesicht.
    »Also deine Anarchisten«, sagte er. »Die wissen, was los ist. Das ganze Verwaltungskonzept ist am Ende.« Seine Stimme war besessen von einem ständigen und irreführenden Ton der Gekränktheit. »Sie sehen, daß es von hier aus nur noch abwärts gehen kann. In einem Jahr werden wir bei der Zwanzigsten Republik angelangt sein, und wir werden eine Ein-Dorf-Regierung haben. Sie nehmen es nur vorweg.«
    Arm wischte eine Spinne von seinem Kurzweghebel. Er kümmerte sich nicht viel um Politik.
    »Leg diese verdammte Bürste weg. Warum schließt du dich ihnen nicht an, wenn du es so siehst?«
    Block lachte.
    »Sie werden nicht bezahlt«, sagte er. Er legte sein Gesicht in Falten und fuhr fort, sich die Haare zu bürsten.
    Die Bremslichter des voranfahrenden Wagens leuchteten auf. Arm hielt das Fahrzeug so plötzlich an, daß der Kanonier von seinem Sitz geschleudert wurde und lauschte. Über dem Geräusch der leerlaufenden Maschinen war schwach das hohle Prasseln kleinkalibriger Waffen zu hören und der dumpfe Schlag eines Panzerabwehrgeschützes, als der Marsden das erste Nest von Hecken schützen ausfindig machte und angriff. Zwei Rendells lösten sich aus der Kolonne und stampften mit aufheulenden Turbinen auf das Gebiet zu, in dem das Scharmützel stattfand. Ihre Kanonen begannen zu donnern. Das Schießen

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