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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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Gans eine so behagliche Ruhestätte geboten hatte.
    «Ich bin ziemlich zuversichtlich», sagte sie, und sie sahen sich an.
    Miles nickte wortlos.
     
    Er hatte ihr einiges von Cleveland erzählt.
    Von Hayden, natürlich, aber auch von ihrer Kindheit und ihrem Vater, und selbst von seinem jetzigen Leben, seinem Job im alten Kuriositätenladen, von Mrs.   Matalov und ihrer Enkelin –
    «Und trotzdem bist du hier», sagte Lydia. «Es klingt so, als hättest du glücklich sein können, Miles, und trotzdem bist du hier, auf einer Insel im Arktischen Ozean. Das ist schade.»
    «Vielleicht», sagte Miles. Er zuckte, leicht durcheinander, die Achseln. «Ich weiß nicht. ‹Glücklich› ist ein großes Wort.»
    «‹Glücklich› ist ein großes Wort?», wiederholte sie sanft, wie das ein Therapeut hätte tun können. Sie hob die Augenbrauen. «Eine ziemlich seltsame Aussage.»
    Und Miles zuckte wieder die Achseln. «Ich weiß nicht», sagte er. «Ich meinte nur – so glücklich war ich in Cleveland auch wieder nicht.»
    «Ich verstehe», sagte sie.
    «Einfach nur – neutral. Ich meine, ich habe praktisch bei einem kleinen Versandhaus gearbeitet. Es war nichts Besonderes. Du weißt schon. Und die Abende verbrachte ich meist in einer leeren Wohnung, vor dem Fernseher.»
    «Ja», sagte sie und zog den Kragen ihres Mantels hoch, als der Wind sie durchpustete.
    Es war eigentlich nicht kalt. Miles schätzte die Temperatur auf um die zehn Grad, und das endlose Tageslicht strahlte auf sie herab. Der Himmel hatte eine glasartige, silbrige Schärfe – wie abgebildet in einer verspiegelten Sonnenbrille. Dieses unwirkliche phosphoreszierende Blau, das die Erde vom Weltraum aus gesehen besitzt.
    «Also», sagte Lydia endlich. «Falls wir ihn finden – glaubst du, dass du dann endlich glücklich sein wirst?»
    «Ich weiß es nicht», sagte Miles.
    Zugegeben, es war eine lahme Antwort, aber er wusste ehrlich nicht, wie er sich fühlen würde. Endlich, nach so vielen Jahren, vor der Lösung all seiner Probleme stehen? Er konnte es sich nicht so recht vorstellen.
    Und sie schien das auch zu verstehen. Sie neigte den Kopf, während ihre Füße leise, beschwichtigende Geräusche auf dem Kies erzeugten, der wie das Bett eines Baches in runzligen Graten lag. Er musste durch das abwechselnde Sichanhäufen und Abschmelzen des Schnees so geworden sein, vermutete Miles.
    «Und wenn wir ihn nicht finden», sagte Lydia, nachdem sie eine Zeitlang schweigend weitergestapft waren. «Was dann? Steigst du dann einfach wieder in dein Auto und fährst zurück nach Cleveland?»
    «Vermutlich.»
    Er zuckte wieder die Schultern, und dies Mal lachte sie, ein überraschend unbeschwertes, ja fast liebevolles Geräusch.
    «Ach, Miles», sagte sie. «Ich fasse es nicht, dass du den ganzen Weg bis rauf nach Inuvik gefahren bist. Das verblüfft mich einfach.» Sie warf einen Blick nach Mr.   Itigaituk, der inzwischen seinen Abstand zu ihnen noch ein bisschen vergrößert hatte und entschlossen weitermarschierte.
    «Du bist ein sehr seltsamer Mensch, Miles Cheshire», sagte sie und sah ihn nachdenklich an. «Ich wünschte …»
    Aber sie vollendete den Satz nicht. Sie ließ ihn verhallen, und Miles vermutete, dass ihr das, was sie hatte sagen wollen, bei näherer Überlegung nicht mehr so klug erschienen war.
     
    Er versuchte, über die Zukunft nachzudenken.
    Je länger sie gingen, desto klarer wurde Miles, dass es sich bei dieser ganzen Aktion lediglich wieder um einen von Haydens ausgeklügelten Scherzen handelte, ein weiteres Labyrinth, das er für ihn erschaffen hatte.
    Er würde zurückfahren; vermutlich. Zurück nach Cleveland, zurück zum Matalov Novelties, wo die alte Dame ungeduldig auf seine Rückkehr wartete; und er würde in seine Ecke des überfüllten Ladens zurückkehren und sich an seinen Computer setzen, unter den gerahmten Fotos alter Varieté-Künstler, und manchmal das Foto seines Vaters betrachten, seines Dads, der, in Smoking und Cape gekleidet, den Zauberstab schwang.
    Miles selbst war kein Magier, würde auch nie einer sein, aber er konnte sich durchaus vorstellen, den Respekt ihrer Zunft zu gewinnen. Als deren Lieferant. Schon jetzt hatte er ein gutes Auge für den Warenbestand und die Ausgaben bei Matalov, hatte er Ordnung in die chaotischen Regale gebracht und die Website auf Vordermann gebracht, für Interessenten benutzerfreundlicher gestaltet – hatte endlich etwas Nützliches getan, einen schmalen Weg durch sein Leben gebahnt,

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