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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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eingefallen, die Hayden in ihrer Kindheit gemacht hatte. Die «Dekoration» war in demselben Stil gehalten, allerdings weit aufwendiger, sie füllte den ganzen Raum. Da gab es von der Decke hängende Mobiles, Origami-Fische, Origami-Schwäne und -Pfauen, Origami-Nautilusschalen und -Windräder; Wolken aus Watte, Windspiele aus Steinchen und Objektträgern. Die Regale waren angefüllt mit Krimskrams, den Hayden aus Steinen und Knochen, Nägeln, Holzstückchen und Suppendosen, aus Plastikfolie, Stoffstreifen, Federn, Fellfetzen, Computerteilen, dem verschiedensten nicht näher bestimmbaren Plunder gebastelt hatte.
    Manche dieser Kreationen waren zu einem Tableau angeordnet worden – und Miles hatte lange genug im Zauberladen gearbeitet, um darin Motive aus dem Tarotspiel wiederzuerkennen. Hier war die Drei der Schwerter: Eine winzige aus Lehm, Schlamm oder Teig geformte Gestalt lag auf einem Pappbett unter einer winzigen Zudecke, die aus einem Stück Cordsamt ausgeschnitten worden war, und über dem Bett hingen, die Spitzen nach unten, drei Nägel. Hier war der Turm – eine kegelstumpfförmige Konstruktion aus Kieselsteinchen, mit zwei aus Büroklammern gebogenen Strichmännchen, die sich vom Turmkranz stürzten.
    Auf dem Bett unter diesen Objekten waren Kleidungsstücke ausgelegt. Seite an Seite: eine weiße Bluse und ein weißes T-Shirt, die Ärmel ausgestreckt. Zwei Paar Jeans. Zwei Paar Socken. Als ob sie da nebeneinander geschlafen hätten und dann einfach verdunstet wären und nichts als ihre leere Kleidung hinterlassen hätten.
    Die Gestalten waren ringsum von verschiedenen Blumen umgeben: Lilien aus Gänsefedern, Rosen, aus Buchseiten gefaltet, Schleierkraut aus Kabeldraht und Stückchen von Isoliermaterial. Flocken von Glimmer glitzerten auf, als Mr.   Itigaituk den Strahl seiner Taschenlampe über das –
    Heiligtum, dachte Miles, konnte man wohl dazu sagen – gleiten ließ.
    Es erinnerte an diese Gedenkstätten, die man entlang der Highways sieht, diesen Sammelsurien von Kreuzen und Plastikblumensträußen und Plüschtieren und handgemalten Schildern, die die Stellen markieren, an denen jemand bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.
    Über den leeren Kleidungsstücken waren einige große flache Steine bogenförmig angeordnet worden, und in jeden Stein war eine Rune eingegraben.
    Runen: Es war das alte Spiel, das «alte» Alphabet, das sie damals, als Zwölfjährige, erfunden hatten. «Buchstaben», die irgendwo ein Mittelding zwischen Phönikisch und Tolkien darstellten und von denen sie behaupteten, sie seien eine uralte Schrift.
    Er konnte die Buchstaben noch immer gut lesen. Er erinnerte sich an sie.
    R-A-C-H-E-L , stand da. H-A-Y-D-E-N .
    Und dann darunter, in kleineren Schriftzeichen:
    I-D-E-M M-U-T-A-T-U-S R-E-S-U-R-G-O
    Er vermutete, dass es eine Art Grab war.
     
    Schweigend standen die drei da, und ihnen war allen klar, was dieses Panoptikum zum Ausdruck bringen wollte; sie standen vor einem Mahnmal, einem Grab. Offenbar kam eine Brise durch die Eingangstür herein, denn die Mobiles hatten angefangen, sich sacht zu bewegen, und warfen im Licht von Mr.   Itigaituks Taschenlampe langsam Schatten auf die Wände. Die Windspiele gaben ein unbestimmtes, rasselndes Flüstern von sich.
    «Das müssen wohl Rachels Sachen sein», sagte Lydia endlich, mit heiserer Stimme, und Miles zuckte die Achseln.
    «Wer weiß», sagte er.
    «Was ist das?», sagte Lydia. «Ist das eine Botschaft?»
    Miles schüttelte den Kopf. Er dachte an die seltsam geschichteten Figuren aus Steinen und Zweigen, die Hayden, nach dem Tod ihres Vaters, im Garten ihres Elternhauses konstruiert hatte. Er dachte an die zerfledderte Ausgabe von Frankenstein , die er nicht lange nach seiner Reise nach North Dakota per Post bekommen hatte, an die angestrichene Passage im letzten Kapitel:
     
    SO FOLG MIR DENN WEITERHIN! ICH BIN UNTERWEGS NACH DER EWIGEN GEFRÖRNIS DES NORDENS, WO DU ALL DIE KÄLTE UND DEN FROST ERDULDEN SOLLST, WELCHE NICHTS ÜBER MICH VERMÖGEN. (…) IMMER VORAN, MEIN FEIND!
     
    «Ich glaube, das bedeutet, dass sie beide tot sind», sagte Miles endlich, und dann hielt er inne.
    Glaubte er das wirklich? Oder wünschte er sich lediglich, es sei so?
     
    Lydia schauderte ein bisschen, aber ihr Gesicht blieb unbewegt. Er wusste nicht, was sie empfand. Wut? Verzweiflung? Trauer? Oder war es lediglich eine Abart der tauben, stumpfen, wortlosen Leere, die sich über ihn gelegt hatte, als er sich an den Brief erinnerte,

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