Identität (German Edition)
Jay. «Mission erfüllt», schrieb er, und dann entschied er, dass er genauso gut ins Bett gehen konnte.
15
SIE KONNTEN bald abreisen. Das war die eine Sache. Erst mal nach New York und dann weiter ins Ausland.
Und sie könnten auch bald reich sein, wenn alles nach Plan lief. Wenn sie die Sorte Mensch war, die etwas Derartiges machte.
Die Dokumente waren zwischen ihnen auf dem Küchentisch ausgebreitet, George Orson schob sie penibel zurecht und brachte sie in Reih und Glied, als ob parallele Linien ihr Gespräch einfacher machen würden. Sie sah ihn kurz, verstohlen aufschauen, und es war ihr fast peinlich zu erkennen, wie ernst und schuldbewusst sein Blick war – obwohl es sie auch erleichterte, dass er nichts sagte. Nicht versuchte, sie zu beruhigen oder sie zu belehren, sondern einfach nur auf ihre Entscheidung wartete. Es war das erste Mal seit einiger Zeit, dass ihr Wille etwas zählte, das erste Mal seit Monaten, dass sie nicht das Gefühl hatte, durch eine Traumlandschaft zu wandern, eine Amnesie-Landschaft, in der alles von einer Aura von Déjà-vus umgeben war –
Aber jetzt hatte sich alles konkretisiert. Seine Pläne. Seine Ausflüchte. Das Geld.
Sie nahm von dem Stoß, den er vor sie hingelegt hatte, ein einzelnes Blatt auf. Es war die Kopie der telegrafischen Überweisung. Oben stand BICICI . Banque Internationale pour le Commerce et l’Industrie de Côte d’Ivoire . Dann kamen ein Datum, ein Kode, ein Siegel, mehrere Unterschriften und ein Betrag. US-$ 4 300 000,00. Und hier war der Brief, der die Einzahlung bestätigte. «Sehr geehrter Mr. Kozelek, Ihr Guthaben wurde von Ihrem Geschäftspartner, Mr. Oliver Akubueze, bei unserer Bank eingezahlt. Ihr Partner hat uns darüber hinaus durch Ausfüllen des Überweisungsformulars beauftragt, den Betrag auf Ihr Bankkonto zu transferieren, und hat auch weitere dafür erforderliche Dokumente unterzeichnet …»
«Mr. Kozelek», sagte Lucy. «Das bist du.»
«Ja», sagte George Orson. «Ein Pseudonym.»
«Ich verstehe», sagte Lucy. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und schaute dann wieder auf das Blatt. US-$ 4 300 000,00 .
«Ich verstehe», hauchte sie und versuchte, ihrer Stimme einen kühlen, unbeteiligten, amtlichen Ton zu verleihen. Sie dachte an die Frau vom Sozialamt, zu der sie und Patricia nach dem Tod ihrer Eltern hatten gehen müssen, und daran, wie sie die Papiere auf ihrem überfüllten Schreibtisch durchgeblättert hatte. Ich frage mich, inwieweit ihr beide schon imstande seid, allein zurechtzukommen , hatte die Frau gesagt.
Lucy hielt das Blatt zwischen beiden Daumen und Zeigefingern, so wie es die Frau vom Sozialamt getan hatte. Dann sah sie zu George Orson auf, der geduldig ihr gegenüber am Tisch saß und die Hände locker um seine Tasse Kaffee geschlossen hatte, als wollte er sich die Finger wärmen, obwohl es draußen bestimmt schon 26, 27 Grad sein mussten.
«Wer ist Oliver Aku-?», fragte sie und stolperte über den Rest des Namens, genau so, wie sie früher in Mme. Fourniers Unterricht durch französische Sätze getrampelt war. «Akubueze», versuchte sie es noch einmal, und George Orson lächelte matt.
«Er ist niemand», sagte George Orson, um nach kurzem Zögern den Kopf bedauernd zur Seite zu neigen. Er hatte versprochen, ihr jede Frage zu beantworten. «Er ist – nur ein Vermittler. Ein Kontaktmann. Ich musste ihn natürlich bezahlen. Aber das war kein Problem.»
Ihre Blicke trafen sich, und sie erinnerte sich, dass George Orson ihr einmal erzählt hatte, er habe früher einen Hypnosekurs besucht: Diese leuchtenden grünen Augen waren dafür wie geschaffen, dachte sie. Er fixierte sie, und seine Augen sagten: Du musst dich entspannen . Seine Augen sagten: Kannst du mir vertrauen? Seine Augen sagten: Sind wir nicht noch immer ineinander verliebt?
Vielleicht. Vielleicht liebte er sie wirklich.
Vielleicht versuchte er nur, sich um sie zu kümmern, wie er sagte.
Aber es war frustrierend, denn trotz all dieser Dokumente, die er ihr vorgelegt hatte, blieb er, was die Wahrheit betraf, sehr im Unbestimmten. Er war ein Dieb, so viel hatte er zugegeben, aber ihr war nach wie vor nicht klar, wo das Geld hergekommen war und wie er es geschafft hatte, daran zu kommen. Oder wer genau auf der Suche nach ihm war.
«Ich habe keinen Menschen bestohlen, Lucy – das musst du unbedingt begreifen. Es ist nicht so, dass ich eine alte reiche Dame ausgeraubt hätte oder einen Gangster, oder eine kleine
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