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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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wie dein Vater – das hatte sie eigentlich gemeint. Sein Vater: Jay, der mit fünfzehn ein Mädchen geschwängert hatte, von zu Hause weggelaufen war, sich mit irgendwelchen fragwürdigen Jobs über Wasser gehalten und es nie geschafft hatte, ein normales Leben zu führen. Im Nachhinein begriff er schon, warum sie ihn so hart rangenommen hatte, er konnte sogar ein gewisses Verständnis dafür aufbringen. Sie musste schon damals, noch bevor er es selbst wusste, gewusst haben, zu was für einer Art Mensch er sich entwickeln würde.
    Und sie wollte nicht zulassen, dass er wie Jay endete. Ryan wurde für zwei Wochen in ein Wildnis-Camp für schwererziehbare Jugendliche geschickt, während seine Mutter die Scherben seines Lebens wieder zusammenfügte. Es war eines dieser Isolationscamps für Outdoor-Aktivitäten und Teambildung und Gruppentherapie, voll von paramilitärischen Beratern, die die Jungs mit «liebevoller Härte» behandelten und ihre psychischen Probleme diagnostizierten. Diese Jungs waren in die Irre gegangen; sie hatten durchweg ein ungesundes, falsches Selbstbild und mussten sich ändern, wenn sie je zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft werden, wenn sie ihre Freunde und Angehörigen je wiedersehen wollten …
    Auch nach seiner Rückkehr blieb er für den Rest des Schuljahres praktisch unter Hausarrest. Sie hatte ihm sein Handy weggenommen und seinen Internetanschluss gekündigt, und dann hatte sie sich mit allen seinen Lehrern in Verbindung gesetzt und mit ihnen besprochen, wie er alles, was er in der Schule versäumt hatte, aufarbeiten konnte. Einmal die Woche schickte sie ihn zu einem Therapeuten, und sie schrieb ihn bei einem Vorbereitungskurs für den Hochschul-Eignungstest und einem gemeinnützigen Programm namens Optimist Club ein, dessen Teilnehmer sich dreimal die Woche trafen, um öffentliche Grünanlagen zu säubern, armen Kindern Spielzeug zu schenken, Wertmüll einzusammeln und so weiter. Sie nahm ihn aus dem Schulorchester, dem einzigen Kurs, den er mit Pixie gemeinsam besucht hatte – obwohl es eigentlich egal war, weil Pixie ohnehin von ihrem Vater auf die St. Albert High umgeschult worden war. Er sah sie nie wieder. Ihr Vater wurde der Bedrohung für schuldig befunden und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
    Ryans Vater hingegen, Owen, hielt sich fast aus allem raus, wortkarg und mürrisch, wie er angesichts von Staceys starrsinniger Organisationswut immer zu sein pflegte. Immerhin überredete Owen sie dazu, Ryan zu erlauben, Gitarrenunterricht zu nehmen, und das war zumindest ein erfreulicher Aspekt seiner letzten anderthalb Jahre Highschool. Er und Pixie hatten darüber geredet, eine Band zu gründen, in der sie Drummerin und er Leadsänger sein würde, und er träumte jetzt häufig davon. Er saß gern in seinem Zimmer und komponierte Songs auf der Takamine, die Owen ihm gekauft hatte. Ein Song, den er schrieb, hatte den Titel Oh, Pixie . Ein ganz trauriges Stück. Ein anderer hieß Aggravated Menace und handelte von der Morddrohung von Pixies Vater. Und dann gab es da noch Soon I’ll Be Gone und Echopraxia , das sich, wenn er je ein Album veröffentlichen sollte, vielleicht als Single auskoppeln lassen würde.
     
    Es war jämmerlich, dachte er, an diese stümperhaften alten Songs zurückzudenken.
    Es war deprimierend, weil er die ganze Nacht lang nur Pixie im Kopf gehabt hatte, sich an sie erinnert, sich gefragt hatte, wo sie jetzt sein mochte. Was war aus ihr geworden? Abgesehen davon deutete nichts darauf hin, dass er in absehbarer Zeit eine Nummer schieben würde.
    Es war sogar traurig, dass sich seine Paranoia wegen der Russen letztlich als falscher Alarm erwiesen hatte. Abgesehen von diesem kurzen Zwischenfall auf der Straße war rein gar nichts Aufregendes passiert, kein Abenteuer mit Gangstern, nur die Herden von Touristen und die Profis, die – mit der erbarmungslosen Nonchalance eines Nachtkassierers in einem Supermarkt – ihrer Aufgabe nachgingen, ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen.
    Vielleicht würde er sein Leben lang einsam sein, dachte er, breitete die Hostessenkarten auf dem Schreibtisch aus und betrachtete sie. Fantasie. Roxan. Natasha.
    Er saß da in seinem Hotelzimmer und dachte nach. Dann tippte er seinen Namen und seine Zimmernummer ein, und mit einem Flüstern stellte der Cyberspace die Verbindung her.
    Er öffnete das Instant-Message-Fenster, und
    Nein, kein weiterer Gruß auf Kyrillisch.
    Also tippte er lediglich eine kurze Mitteilung an

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