Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
Vom Netzwerk:
paar Reißzwecken und einem Plastik-Dino. Die Münze war schwer und sah aus wie eine alte Dublone, sehr abgerieben, auch wenn sie wahrscheinlich nur irgendein wertloses Andenken war.
    Trotzdem hatte sie sie mitgenommen, sie hatte sie in ihrem Koffer versteckt, und genau diese Münze war ihr eingefallen, als sie den Überweisungsschein gesehen hatte. 4,3 Millionen Dollar , und kindischerweise hatte sie im ersten Moment die Vision von Kisten voll solcher Goldmünzen gehabt.
    Natürlich war ihr bewusst, dass Geldgier mit zu ihrer Entscheidung beigetragen hatte. Ja, sie wusste das. Aber Liebe spielte auch eine Rolle. Sie liebte es, wie es sich anfühlte, mit ihm zusammen zu sein, diese zwanglose, frotzelnde Vertraulichkeit; dieses Gefühl, das er ihr schenkte, dass sie beide, und ausschließlich sie, ihr eigenes Reich und ihre eigene Sprache hatten, als ob sie, wie George Orson oft gesagt hatte, sich schon in einem anderen Leben gekannt hätten – und sie vermutete, dass sie es sogar aushalten könnte, eine Zeitlang Brooke Fremden zu sein, solange er David war …
    Und es sogar Spaß machen könnte.
    Es könnte eines dieser vertraulichen Abenteuer sein, die sie miteinander erlebten. Eine der Episoden, aus denen sich eine private Geschichte zusammensetzte, die nur ihnen bekannt war. Sie würden irgendwann in Marokko oder sonst einem vergleichbaren Ort an einer Dinnerparty teilnehmen, und jemand würde sie fragen, wie sie sich kennengelernt hatten, und sie würden verstohlene, verständnisinnige Blicke tauschen.
     
    Es war fast halb vier Uhr nachmittags, als er endlich aus dem Herrenzimmer herauskam. Lucy saß im Wohnzimmer in einem der mit Leinwand verhängten hohen Ohrensessel und starrte wieder einmal auf Brooke Fremdens Geburtsurkunde.
    Unten standen die gekritzelten Unterschriften:
    Ich bestätige, dass ich die in dieser Bescheinigung enthaltenen persönlichen Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe . Das war der Vater.
    Ich bestätige, dass das obengenannte Kind zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort lebend geboren wurde . Das war der Arzt – Albert Gerbie, M. D.
    Und als sie aufschaute, stand George Orson in der Tür. Er hatte sich die Haare mit den Fingern gekämmt, und jetzt standen sie ihm büschelweise zu Berge. Er hatte den Blick eines Mannes, der zu lange wissenschaftliche Formeln oder Zahlenspalten studiert hatte, einen zugleich angespannten und abwesenden Ausdruck, als überraschte es ihn, sie dort sitzen zu sehen.
    «Ich muss ein paar Besorgungen machen», sagte er.
    «Okay», sagte sie, und er schien sich etwas zu entspannen.
    «Ich will versuchen, ein paar Sachen zu kaufen, in denen du jünger aussiehst», sagte er. «Wie wär’s mit was in Rosa? Etwas leicht Mädchenhaftes?»
    Sie sah ihn skeptisch an. «Vielleicht sollte ich besser mitkommen», sagte sie.
    Doch er schüttelte nachdrücklich den Kopf. «Keine gute Idee», sagte er. «Wir sollten uns in der Stadt nicht zusammen sehen lassen. Besonders jetzt nicht.»
    «Okay», sagte sie, und er warf ihr einen dankbaren Blick zu, während er sich die Baseballkappe aufsetzte, die er bei seinen Exkursionen immer trug. Vermutlich war er froh, dass sie keinen Streit mit ihm anfing. Jetzt berührte er ihre Hand, ließ die Finger zerstreut über ihre Fingerknöchel gleiten. Sie schenkte ihm ein zögerndes Lächeln.
    Er hatte die Tür des Herrenzimmers nicht abgeschlossen.
     
    Sie stand an der Haustür und sah dem alten Pick-up nach, wie er auf die Landstraße fuhr, die vom Motel wegführte. Der Himmel war mit Schichten von blassgrauen Kumuluswolken verhängt, und sie verschränkte die Arme vor der Brust, während der Pick-up einen Buckel nahm und dahinter verschwand.
    Noch bevor sie sich wieder zur Tür wandte, wusste sie, dass sie schnurstracks zum Herrenzimmer gehen würde, und tatsächlich beschleunigte sie sogar ihren Schritt. Dieses abgeschlossene Zimmer war seit ihrer Ankunft ein Streitpunkt zwischen ihnen gewesen. Seine Privatsphäre – aber widersprach das nicht all seinen Erklärungen, sie würden eine geheime Welt gemeinsam haben, sub rosa , wie er gesagt hatte?
    Doch als sie das Thema zur Sprache brachte, zuckte er lediglich die Schultern. «Jeder braucht seine ganz persönliche Höhle», hatte er zu ihr gesagt. «Selbst Menschen, die sich so nah stehen wie wir. Glaubst du nicht?»
    Und Lucy hatte die Augen zum Himmel verdreht. «Ich weiß wirklich nicht, was der Aufstand soll», sagte sie. «Guckst du dir dadrin Pornos an,

Weitere Kostenlose Bücher