Idol
Kunststückchen, um aus dem Nachthemd in die Tageskleider zu schlüpfen, ohne
daß jemand etwas sieht. Ich entsinne mich noch, als sei es erst gestern gewesen, an die Ohrfeige, die mir
il mancino
verpaßte, und an seine deftige Schelte, weil ich mich eines Morgens, als ich aus unserem gemeinsamen Bett aufstand, nackt
auszog. Ich war damals zehn Jahre alt und hatte geglaubt, es würde ihm Freude machen, den jungen Körper zu sehen, den er jeden
Tag streichelte. Ja, aber das tat er nachts und unter dem Laken! Ich war doppelt versteckt, und wir stellten uns beide schlafend,
der Streichelnde und die Gestreichelte.
Marcello steht also plötzlich im Zimmer, und als die Signora die Augen hebt und ihn fragend ansieht, sagt er ohne Umschweife:
»Margherita Sorghinis Haus hat zwei Eingänge. Der, den ich seinerzeit benutzte, als sie unsere Liaison nicht bekannt werden
lassen wollte, befindet sich auf der Rückseite in einer schmalen Sackgasse, die so eng ist, daß sie nicht Platz genug hat
für zwei nebeneinander gehende Personen. Linker Hand sieht man einen kleinen Portalvorbau, der nicht verschlossen ist. Er
führt auf einen Gang zu einer Kapelle, die die fromme Signora Sorghini den unter ihrem Schutz stehenden Bettelmönchen überlassen
hat. Die Kapelle ist für die Öffentlichkeit zugänglich, wird aber nur selten besucht. Am Ende des Ganges befindet sich eine
zweite, dunkelgrüne Tür, zu der dieser Schlüssel gehört.«
Er wirft ihn geschickt der Signora in den Schoß.
»Hinter dieser Tür stoßt Ihr auf eine Treppe, und wenn Ihr die Mühe nicht scheut, drei Stockwerke hochzusteigen, gelangt |221| Ihr zu einer Terrasse, auf der Signora Sorghini ein großes weißes Zelt errichten ließ, dessen Vorhänge vor Sonne, Wind und
neugierigen Blicken schützen. Dies hübsche Plätzchen mit seinen üppigen roten und weißen Geranien lädt so recht zum Ausruhen
ein, wenn Ihr Euch morgen zur Vesperstunde dorthin begeben wollt, Vittoria. Ihr werdet Signora Sorghini nicht antreffen, da
sie morgen in aller Frühe mit mir nach meinem Haus in Amalfi aufbricht, wo sie in meiner Gesellschaft einen Monat lang den
Seewind genießen will.«
Nach diesen Worten zieht er sich zurück, ohne mir auch nur einen Blick zu gönnen. Die Signora ergreift den Schlüssel, sie
nimmt ihn nicht etwa nur zwischen Daumen und Zeigefinger, nein, sie umklammert ihn mit der Linken, die sie zur Faust schließt
und um die sie vorsichtshalber auch noch ihre Rechte legt. Dann drückt sie beide Hände zwischen ihre Brüste. Oh, es wird nicht
verschwinden, das Schlüsselchen! Es fühlt sich so wohl da!
»Signora, darf ich mich zurückziehen?«
»Gute Nacht, Caterina«, sagt sie wie abwesend. Sie starrt vor sich hin, und um ihre Lippen spielt der Schatten eines Lächelns.
Ich gehe in Marcellos Zimmer. Er ist weg. Dieser Bösewicht hat nicht einmal auf mich gewartet, um mir auf Wiedersehen zu sagen.
Ich sehe mich ungläubig um. Doch das Zimmer ist wirklich leer. Und es wird zudem einen ganzen Monat leer bleiben, denn am
nächsten Morgen reist er mit seiner Alten ab. Ja, mit seiner Alten! Ich will es hundertmal wiederholen, wenn es sein muß:
mit seiner Alten!
Wäre ich die Signora, würde ich mich bäuchlings auf Marcellos Bett werfen und das Gesicht in sein Kopfkissen vergraben. Aber
ich mache nicht solch ein Theater. Ich lösche die Kerze, die Marcello hat brennen lassen, schließe die Tür, trete auf die
Galerie hinaus und stütze mich mit dem Leib gegen die Balustrade. Es ist eine schöne Mondnacht, und unten im Patio sehe ich
unser weißes Kätzchen in ganzer Länge ausgestreckt, wie es die Krallen zeigt. Es kratzt den Boden und faucht und belauert
einen getigerten Kater, der sich unter dem Blätterdach versteckt hält. Woher kommt er, dieser Bursche? Wo hat sie ihn aufgestöbert?
Sie faucht, unsere kleine Mieze. Würde sie den Kater kratzen oder ihn gnädig empfangen? Auf jeden Fall wird |222| es nach gehabtem Vergnügen einen kräftigen Pfotenhieb für ihn setzen. Recht so! Die Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich wische
sie ab. So steht es also um uns beide, meine Herrin und mich: wenn die eine lacht, weint die andere.
Lodovico Orsini, Graf von Oppedo:
Um ein Haar wäre ich ihm auf den Leim gegangen. Doch nur um ein Haar. Denn ich war von Anfang an mißtrauisch und konnte mir
wohl denken, daß dieser heimtückische Marcello nötigenfalls seinem Meister einige Punkte in machiavellischem
Weitere Kostenlose Bücher