Idol
kommen und durch
die erste Tür eintreten und ließ einige Minuten verstreichen, bevor ich ihm folgte. Als ich ihn nicht in der Kapelle antraf,
begriff ich, daß er durch die grüne Tür verschwunden sein mußte. Ich kniete mich in die vorderste Reihe, und da ich von Natur
und Stand sehr fromm bin, begann ich zu beten …«
»Laß deine Frömmigkeit aus dem Spiel, Giacomo!«
»Herr Graf, sie hinderte mich nicht daran, gleichzeitig die Eingangstür der Kapelle zu überwachen.«
»Wie das? Du warst doch in der vordersten Reihe?«
»Ich hatte meine Kapuze hinten mit einem Loch versehen, durch das ich bei einer Kopfdrehung hindurchspähen konnte.«
»Und was sahst du?«
»Eine Signora trat mit ihrer Zofe ein. Beide trugen Masken und trotz der Hitze lange, bis auf den Boden herabwallende Capes
mit einer Kapuze. Die Signora kniete nieder und bekreuzigte sich, und dabei schaute unter dem Cape ihr Haar hervor. Da wußte
ich, wer sie war.«
»Die Frauen beteten, nehme ich an.«
»Inbrünstig, aber kurz. Als sie sich erhoben und die Kapelle verließen, folgte ich ihnen. Aber bevor ich noch die Schwelle
überschritten hatte, sprang jemand aus einem Beichtstuhl, bekam mich mit unwiderstehlichem Griff bei der Kutte zu fassen,
drückte mich mit der anderen Hand gegen die Wand und hielt mir einen Dolch an die Kehle. ›Was machst du hier und wohin willst
du?‹ fragte er. – ›Wie Ihr seht, Signore, bin ich Mönch‹, antwortete ich unterwürfig, ›und ich bete hier, da uns Signora Sorghini
ihre Kapelle geöffnet hat.‹ – ›Mönch?‹ sagte er, ›das werden wir sehen.‹ Er riß mir die Kapuze vom Kopf und strich mit der
Hand über die Tonsur, die ich gottlob von einem Barbier so gründlich hatte erneuern lassen, daß er sie unter seinen Fingern
glatt wie einen Kieselstein zu spüren bekam. Das stellte ihn jedoch noch nicht zufrieden, denn er durchwühlte meine Taschen. |225| Er fand darin nur den Rosenkranz und ein paar Ablaßpfennige, die ich extra eingesteckt hatte. Doch er war immer noch mißtrauisch,
weswegen er mich auf lateinisch das
Pater noster
, das
Ave Maria
, das
Credo
und das
Confiteor
herbeten ließ. Ich tat es fehlerfrei, und glaubt mir, Herr Graf, ich habe lange nicht mit einer solchen Inbrunst gebetet.«
»Sie hat dir geholfen, denn du bist noch am Leben.«
»Ja, diesmal ließ mich der Mann noch laufen. Es wäre allerdings sehr unvorsichtig, das Schicksal ein zweites Mal herauszufordern.«
»Wer, glaubst du, war der Mann?«
»Er gehört zweifellos zum Fürsten und beschützt die Signora.«
»Wie kannst du dessen so sicher sein?«
»Herr Graf‹, sagte Giacomo stolz, »ich habe zwar Angst, doch bin ich kein Feigling. Ich hatte die Geduld zu warten und den
Mut, dem Kerl am Nachmittag auf den Fersen zu bleiben. Ich ritt auf meinem Maultier, er war zu Fuß. Als die Signora das Haus
Sorghini verließ, folgte ihr der Mann bis zum Palazzo Rusticucci und kehrte dann zum Palazzo Montegiordano zurück. Daraus
schließe ich, daß er einer von den Soldaten des Fürsten ist. Er ist groß und trägt Degen, Dolch und Pistole im Gürtel sowie
ein Kettenhemd. In der Kapelle hat er mit seinen bösen schwarzen Augen mein Gesicht genau gemustert, und ich möchte ihm kein
weiteres Mal in die Hände fallen.«
»Beruhige dich, Giacomo, deine Rolle ist zu Ende. Du trittst in diesem Stück nicht mehr auf. Ich rate dir zu deiner eigenen
Sicherheit, über alles wie das Grab zu schweigen. Hier, steck diese Piaster ein.«
In der Nacht nach diesem Gespräch grübelte ich, was ich tun sollte. Ich erwog nacheinander zwei Strategien und bedachte sorgfältig
ihre Konsequenzen. Die erste Lösung: Signor Peretti anonym mitteilen, wo und wann sich die beiden sündigen Liebenden trafen.
Doch nach allem, was ich über Peretti wußte, mußte ich leider annehmen, daß er seine Frau nicht töten, sondern schlimmstenfalls
wieder in eine Festung wie Santa Maria einsperren würde. Und dem Fürsten würde es gelingen, sie eines Tages da herauszuholen
und – falls Peretti tödlich verunglückte – zu heiraten: das genaue Gegenteil dessen, was ich beabsichtigte.
|226| Die zweite Lösung war radikaler und verführerischer: Vittoria durch einen gedungenen Mörder umbringen lassen. Doch das erschien
mir schwierig und für mich gefährlich. Vittoria ging nur am Tage aus und wurde von jenem bewaffneten, listigen, zu allem entschlossenen
Riesen bewacht, mit dem Giacomo aneinandergeraten war und
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