Idol
verwandeln. Und genau
das habe ich mit allen anderen getan.«
»Wie das? Mit allen anderen?«
»Seit Freitag hat Euch der Fürst täglich geschrieben. Sechs Briefe insgesamt. Ich wollte Euerm Willen zu Diensten sein und
habe alle sechs verbrannt.«
Sie steht auf, schiebt mich mit einer Handbewegung zur Seite, tritt ihm mit funkelnden Augen gegenüber und ruft:
»Elender Schurke! Ihr hattet kein Recht dazu! Ihr habt das Vertrauen des Fürsten verraten!«
»Das solltet Ihr ihm schreiben«, entgegnet er spöttisch. »Ich werde Euern Brief überbringen.«
»Geht mir aus den Augen!« schreit sie.
Und sie reißt mir die Bürste aus der Hand und wirft sie nach ihm, doch sie trifft ihn nicht: er hat sich gebückt. Er ergreift
die Bürste, richtet sich auf, legt sie behutsam auf Vittorias Frisiertisch und geht, ohne seine Schwester anzusehen, aus dem
Zimmer.
Kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen, wirft sie sich auf ihr Bett, ohne jede Vorsicht, will sagen: ohne darauf zu achten,
sich nicht in ihrem Haar zu verheddern. Mit einem Blick erfasse ich die Katastrophe: mein ganzes Gebürste war für die Katz!
Zudem bin ich verblüfft. Diese beiden mögen zwar wie zwei Finger einer Hand sein, trotzdem streiten sie sich häufig. Doch
eine derart heftige Auseinandersetzung habe ich bisher noch nicht erlebt. Die arme Signora hat den Kopf in die Kissen vergraben
und schluchzt zum Steinerweichen. Ich weiß nicht recht, was tun. Weglaufen und Marcello in seinem Zimmer aufsuchen? Bei ihr
bleiben und sie trösten? Natürlich habe ich keine Wahl. Denn es ist ja an ihr, mich zu beurlauben. Und in |217| den sechs Tagen, die wir auf Marcello gewartet haben, hat sie mich nicht ein einziges Mal vor elf Uhr abends zu Bett geschickt!
Das ist ein ganz schön langer Arbeitstag. Freilich, ich muß nicht sehr viel arbeiten, und es ist allemal besser, Kammerzofe
im Palazzo Rusticucci zu sein, als die Frau eines Bootseigners in Grottammare. Ich weiß, wie die ihre Frauen behandeln: mehr
Schläge als Zärtlichkeiten.
Es klopft; die Signora hebt den Kopf und sagt:
»Mach nicht auf. Frag, wer da ist.«
Ich gehorche.
»Hier ist Signora Accoramboni«, spricht eine gebieterische Stimme.
»Entschuldigt, Mutter, daß ich Euch nicht empfange. Ich habe heftige Kopfschmerzen.«
»Ich liebe es nicht, mich mit Euch durch die Tür zu unterhalten. Doch ich muß Euch um einen Gefallen bitten. Meine Kammerzofe
ist krank. Ich möchte, daß Ihr mir Eure ausleiht, damit sie mir beim Auskleiden hilft.«
»Davon kann keine Rede sein. Ich verleihe meine Zofe nicht.«
»Ihr seid nicht gerade liebenswürdig, Vittoria.«
»Ich bin so, wie Ihr mich gemacht habt. Bittet doch Giulietta, Euch zu helfen.«
»Giulietta schläft schon.«
»Dann müßt Ihr Euch allein behelfen. Ihr habt zwei gesunde Hände.«
»Vittoria! Ihr behandelt Eure Mutter wie das fünfte Rad am Wagen. Ihr seid eine Ausgeburt an Unhöflichkeit!«
»Das habt Ihr mir bereits gesagt. Gute Nacht, Mutter.«
»Nach der Art, wie Ihr mich behandelt habt, kann Eure Nacht nur schlecht werden.«
»Das wird sie, verlaßt Euch drauf. Gute Nacht, Mutter.«
Ich spitze die Ohren und höre, wie die Superba durch den kleinen Vorraum geht, in dem ich schlafe, wenn die Signora wirklich
krank ist. Sie wirft die Tür zornig hinter sich zu und tritt auf die Galerie hinaus, die in Höhe des ersten Stocks um den
Patio herumführt. Ich bin froh, daß die Signora ihr eine Abfuhr erteilt hat. Ich kann das »fünfte Rad«, wie Vittoria und Marcello
ihre Mutter untereinander nennen, nicht ausstehen.
»Caterina«, fragt die Signora hinter mir, »glaubst du, daß Marcello die Briefe wirklich verbrannt hat?«
|218| Ich wende mich um.
»Vielleicht hat er’s nicht getan, Signora.«
Ich weiß es absolut nicht. Ich verneine die Frage, um Vittoria eine Freude zu machen, und sage »vielleicht« aus Vorsicht.
»Du weißt, was er für ein Schelm ist …«
»Ja, Signora.«
»Caterina, geh bitte in sein Zimmer. Wenn er da ist, bring ihn her.«
»Ja, Signora.«
Ich gehe zur Tür und will sie gerade öffnen, als sie von selbst aufgeht und Marcello wie aus dem Boden gestampft vor mir steht.
Man hätte erwarten können, daß die Signora ihm, nach allem, was geschehen ist, kühl begegnen würde. Weit gefehlt! Sie sieht
ihn ängstlich und fragend an. Er seinerseits erfaßt alles mit einem Blick: die auf dem Bett ausgestreckte Signora, das völlig
durcheinandergeratene Haar, die
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