Idol
hat! Die Fallen, die jeden Augenblick wie der Rachen eines Tigers zuschnappen konnten, und
bei jeder Unachtsamkeit der drohende Strick! Welch ungeheure Erleichterung, daß ich mir nun nicht mehr den Kopf zermartern
muß, was ich ihm sagen darf und was nicht, noch dazu schnell, damit es glaubhaft wirkt. Jetzt kann ich mich einfach |255| gehenlassen, und ich bin trunken vor Wonne, mich einem Mann hinzugeben, der mir so große Angst eingejagt hat und der mir keine
Fragen mehr stellt mit bohrenden Blicken. Mit seinen Augen verschlingt er nun mein Dekolleté, mit seinem Mund beißt er mich
zärtlich – vorbei die Worte, Gott sei Dank! Nur Seufzer noch und Keuchen! Ich bin in meinem Element! Und er ist stolz auf
seine Manneskraft. Doch wer der Sieger ist in diesem Zweikampf, möchte ich gern wissen.
Gian Battista Della Pace,
Bargello della Corte:
In meiner Abwesenheit hat mein Schreiber zwei Briefe erhalten, den einen schickt mir Seine Exzellenz der Gouverneur von Rom,
den anderen hat ein Bettler, der sofort weggerannt ist, einem meiner Sbirren übergeben. Der erste ist namentlich gezeichnet,
der zweite anonym, beide sind hochinteressant.
Der Unterzeichner des ersten Briefes ist Cesare Pallantieri. Ich kenne ihn sehr gut, habe ich ihn doch wegen seiner Verbrechen
aus Rom verbannt. Er habe, so erklärt er, mit Marcello Accorambonis Hilfe Peretti wegen eines Streits, den sie vor einiger
Zeit hatten, getötet. Dabei präzisiert er weder den Grund für den Streit noch den genauen Zeitpunkt oder Ort, wo er sich zugetragen
hat. Vermutlich hat man Cesare Pallantieri bezahlt für dieses Briefchen, das meiner Meinung nach einem doppelten Zweck dient:
erstens den wirklichen Auftraggeber dieses Mordes reinzuwaschen, zweitens Marcello Accoramboni zu kompromittieren.
Den zweiten, anonymen Brief nehme ich ernster. In Abwesenheit der Signora Sorghini soll Vittoria Accoramboni einen »gewissen
edlen Herrn« im Haus der besagten Witwe getroffen haben. Sie sei durch ein Hintertürchen da hineingelangt, zu dem sie den
Schlüssel hat.
Ich begebe mich sofort an Ort und Stelle. Die Örtlichkeiten sind in dem Brief sehr genau beschrieben: eine schmale Sackgasse
mit einem offenstehenden Portalvorbau. Man gelangt in einen Gang, der zu der ebenfalls offenstehenden Tür einer kleinen Kapelle
führt, die – wie man mir sagt – von Signora Sorghini den Bettelmönchen überlassen worden ist, damit sie für |256| ihr Seelenheil beten. Durch eine zweite Tür am Ende des Ganges, die verschlossen ist, kann man vermutlich den Palazzo oder
zumindest dessen Terrasse erreichen.
Vom Fenster eines benachbarten Hauses, in das man mich freundlicherweise einließ, kann ich die Terrasse sehen. Auf ihrer Brüstung
prangen üppige Geranien, in ihrer Mitte ist ein großes Zelt errichtet und mit weißen Vorhängen verschlossen. Weiß wie die
Unschuld müssen wohl auch die Seelen derer gewesen sein, die – so geschützt – hier ihre Schäferstündchen hatten.
Man kann sich gut vorstellen, daß eine gewisse Signora, dank einer Maske unerkannt und unter dem Vorwand, beten zu wollen,
über den unverfänglichen Gang im Erdgeschoß eintritt und in der Kapelle niederkniet, bevor sie zu der Terrasse hinaufsteigt
– durch die besagte zweite Tür, die zwar sehr eng ist, aber nicht in den Himmel führt.
Nachdem ich Gouverneur Portici über alles Bericht erstattet habe, lasse ich den Palazzo Rusticucci von meinen Sbirren durchsuchen.
Im Zimmer der Signora findet sich nichts, in dem von Marcello Accoramboni dagegen ein Schlüssel zur hinteren Tür des Hauses
Sorghini. Doch das beweist nichts gegen seine Schwester, da Marcello
urbi et orbi
als Geliebter der Sorghini bekannt ist.
Ich befrage die Bewohner des Hauses, von dem aus ich die Terrasse in Augenschein genommen habe. Der Mann hält sich bei meinen
Fragen zurück, seine Frau ist schwatzhafter. Vor der Abreise der Sorghini habe sie das Zelt einmal bei geöffneten Vorhängen
gesehen und ein großes weißes Bett und einen Badezuber erblicken können. »Das alles auf einer Terrasse!
La Sorghini, che svergognata!
1 Und einmal habe ich sogar gesehen , wie sich dieser Nichtsnutz, dieser Marcello, vor dem Zelt am hellichten Tag nackt in der Sonne rekelte, glaubt mir, Signor
Bargello.« – »Wie das, Signora? Nackt, am hellichten Tag?« – »Zumindest hätte ich ihn nackt gesehen, wenn nicht diese vielen
Geranien gewesen wären«, sagt die Frau errötend.
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