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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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seiner liebenswürdigen Umgangsformen erlegen. Welch traurige Figur machte dagegen mein armer Herr,
     der mit eingezogenem Kopf auf seinem Schemel hockte: struppiger Bart, zotteliges Haar, krumme Nase, fliehendes Kinn, buschige
     Brauen! Man hätte ihn mit dem Philosophen Sokrates vergleichen können, der auf den ersten Blick ob seiner Häßlichkeit und
     Grobheit schockierte, so daß seine Tugend, Weisheit und Seelenstärke, die ihn bis zum Tod auszeichneten, dem gemeinen Volk
     verborgen blieben.
    Bevor der Papst zu sprechen begann, verharrte er – ein meisterhafter Schauspieler – einen Moment in Schweigen, um den folgenden
     Worten mehr Gewicht zu verleihen, und als er endlich anhub, war seine mit lauter, doch musikalischer Stimme vorgetragene Rede
     deutlich mehr für die versammelten Kardinäle bestimmt als für den eigentlichen Adressaten.
    »Mein teuerster Sohn«, sagte er (doch hätte er ihn an diesem Ort anders anreden können, auch wenn er ihn so wenig |270| schätzte?), »Wir sind zutiefst betroffen von der Kunde über die heimtückische Ermordung Unseres vielgeliebten Sohnes und Kammerherrn
     Francesco Peretti, und es ist Uns Bedürfnis, Euch zu sagen, daß Entrüstung und Trauer Unsere Seele erschütterten, als Wir
     die entsetzliche Nachricht vernahmen …«
    Ohne daß die Stimme des Papstes an Wohlklang oder seine Diktion an Klarheit verlor, füllten sich seine Augen mit Tränen, die
     ihm nun bis zum Schluß seiner Rede über die rosigen Wangen rannen. Er fuhr fort:
    »Wir können in diesem feigen Attentat, durch das Uns der beste Unserer Söhne geraubt wurde, nur das Werk des Teufels sehen.
     Aber wissen Wir nicht auch, daß der Böse bei diesem Verbrechen, das nach Rache zum Himmel schreit, einem Menschen die Hand
     geführt hat? Möge der Himmel Unsere Gebete und Unser Flehen erhören und Uns helfen bei der Suche nach den Mördern und dem
     Mann, der ihm die Waffe in die Hand gab, auf daß sie auf Erden noch für ihre Missetaten büßen, ehe sie vor den höchsten Richter
     treten.«
    Gute zehn Minuten fuhr der Papst in diesem entrüsteten und rachsüchtigen Ton fort, und obwohl die ganze Zeit seine Tränen
     weiter flossen, sprach er mit einer Energie und Kraft, deren er in der Ausübung seiner Herrschaft bisher so sehr ermangelt
     hatte.
    Die Tränen des Heiligen Vaters versiegten gleichzeitig mit seiner Beredsamkeit. Mit einer herablassend-höflichen Geste seiner
     Rechten forderte er den Kardinal zum Sprechen auf. Das Schweigen wurde noch tiefer, die Aufmerksamkeit der Kardinäle, die
     sich keines der Worte meines Herrn entgehen lassen wollten, noch größer. Der Heilige Vater betrachtete Montalto voller Neugier,
     die mir nicht frei von einer gewissen Boshaftigkeit zu sein schien. Möge mir Gott der Herr vergeben, wenn ich mich darin täusche!
    Seine Eminenz sprach mit schwacher, von Husten unterbrochener Stimme, die keinerlei Erregung verriet. Und im Gegensatz zu
     der beflügelten Eloquenz des Papstes fiel seine Erwiderung knapp aus:
    »Allerheiligster Vater, ich danke Euch für das Interesse, daß Ihr an meiner Familie zu nehmen geruht. Für mich, der ich schon
     mit einem Bein im Grabe stehe, ist dieser Schmerz eine weitere Prüfung, die mir Gott der Herr auferlegt, bevor er mich zu
     sich ruft. Deswegen trachte ich mitnichten danach, die Mörder |271| zu suchen und zu bestrafen, sondern vergebe ihnen von ganzem Herzen das Leid, das sie mir angetan haben.«
    Nach diesen Worten machte der Heilige Vater erneut ein Zeichen, und die beiden Kammerherren halfen Seiner Eminenz, sich zu
     erheben und die Krücken wieder unter die Arme zu klemmen. Der Papst erteilte ihm stumm seinen Segen, und der Kardinal schleppte
     sich zu seinem Platz. Das Konsistorium, so fühlte ich, war über seine Worte mehr verwundert als erbaut. Denn obgleich die
     Vergebung der Sünden von den Christen als höchste Tugend angesehen wird, praktiziert man sie – auch im Vatikan – nur selten.
    Was der Papst dachte, erfuhr ich noch vor Beendigung des Konsistoriums, als ich unbeabsichtigt zwei Prälaten im Gespräch überraschte.
     Ich muß dazu sagen, daß die Kardinäle in meiner Gegenwart ungeniert über meinen Herrn sprachen. Weil ich stumm bin, halten
     sie mich offenbar auch für taub. Doch wie soll ich sie über ihren Irrtum aufklären? Sie würden meine Zeichensprache nicht
     verstehen.
    Sowie mein Herr unter großen Mühen wieder seinen Platz erreicht hatte, beugte sich der Papst zu einem seiner Vertrauten

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