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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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zog eine Börse aus der Soutane
     und überreichte sie ihr mit den Worten: »Regelt alles aufs beste, aber ohne übertriebenes Gepränge.«
    Dann schwieg er lange, während Giulietta, völlig im Banne seiner Autorität, stumm und bewegungslos verharrte.
    »Giulietta«, sagte er endlich, »Ihr seid die einzige in dieser Familie, die ein wenig gesunden Menschenverstand besitzt. Was
     meint Ihr: in welcher seelischen Verfassung befindet sich Vittoria heute?«
    »Sie ist von Schmerz überwältigt.«
    »Von Gewissensbissen auch?« fragte der Kardinal und sah sie durchdringend an.
    »Nein. Dazu hat sie keinen Grund, wie ich meine.«
    |268| Für einen Moment, der Giulietta unendlich lang vorgekommen sein muß, sah Seine Eminenz sie fest an, als wolle er ihre Seele
     ergründen. Doch die Signorina hielt seinem Blick stand. Zwei Tage später kam der Kardinal mir gegenüber darauf zu sprechen:
     »Es gibt drei Möglichkeiten: Vittoria ist nicht des Ehebruchs schuldig, und Giulietta sagt die Wahrheit. Oder Vittoria ist
     schuldig, und Giulietta weiß von nichts. Oder Vittoria ist schuldig, Giulietta weiß es und lügt, um sie zu decken.« Ich sah
     ihn fragend an, und er seufzte: »Nichts ist so unergründlich wie die Frauen! Von der Wiege an werden sie zur Heuchelei erzogen.«
     Durch Zeichen befragte ich ihn, ob er Vittoria für mitschuldig an dem Mord halte. »Nein!« entgegnete er mit Entschiedenheit.
     »Tausendmal nein! Das glaube ich niemals.«
    Wieder im Hause des Kardinals, erkundigte ich mich, ob er an der Sitzung des Konsistoriums teilnehmen werde. »Unbe dingt . Ich muß. Das ist eine Prüfung, und es wäre feige, sich ihr zu entziehen«, antwortete er.
    Es war Brauch, daß die siebzig Kardinäle des Konsistoriums vor Sitzungsbeginn nacheinander vor dem Papst zur Huldigung niederknieten.
     Dieses Zeremoniell dauerte sehr lange, denn der Heilige Vater richtete an jeden einzelnen Kardinal ein paar Worte. Da sie
     genauso liebenswürdig-belanglos waren wie die unumgänglichen Erwiderungen, setzten die anderen Würdenträger derweil ihre Privatgespräche
     fort. Trotz der respektvoll gedämpften Stimmen entstand allein wegen der großen Zahl der Anwesenden ein beträchtliches Gemurmel,
     das erst abbrach, wenn der Erste Kammerherr die Sitzung für eröffnet erklärte.
    An jenem Tag verstummte das Geräusch, das stark an das Summen eines Bienenschwarms erinnerte, lange vor der Ankündigung des
     Kammerherrn, und es trat schlagartig tiefes Schweigen ein, als Seine Eminenz Kardinal Montalto an der Reihe war, den Heiligen
     Vater zu begrüßen.
    Das Konsistorium tritt in einem rechteckigen Raum zusammen, an dessen einer Schmalseite sich der Papstthron befindet, während
     das Chorgestühl für die Prälaten an den beiden Längsseiten einander gegenüber angeordnet ist. Als Seine Eminenz sich mühsam
     auf seinen Krücken durch den Mittelgang schleppte, schauten alle Kardinäle gebannt auf ihn, folgten seinem langsamen Weg zum
     Thron und warteten gespannt, was Papst und Kardinal einander zu sagen haben würden.
    |269| Jeder im Saal – vermutlich sogar jeder in Rom – wußte zu dieser Stunde von der Ermordung Francesco Perettis, und alle waren
     sich im klaren darüber, wie schwerwiegend diese Tat von den beiden Männern empfunden werden mußte: der Kardinal war zutiefst
     in seinen Gefühlen, der Heilige Vater in seiner Autorität getroffen. Denn obwohl es für das Verbrechen mit Sicherheit ein
     privates Motiv gab, war die Ermordung des Dritten Kammerherrn des Papstes unzweifelhaft auch eine Herausforderung und eine
     Beleidigung für Seine Heiligkeit.
    Wegen seiner Behinderung war Seine Eminenz der Pflicht enthoben, vor dem Heiligen Vater niederzuknien, und es stand ein Schemel
     für ihn bereit. Dennoch mußten der Erste und der Zweite Kammerherr ihm beim Hinsetzen behilflich sein: ein Vorgang, der der
     nachfolgenden Unterhaltung einen gleichsam dramatischen Anstrich verlieh.
    In Rom und in ganz Italien gab es gewiß keinen besser aussehenden, lebhafteren und gesünderen Greis als den Papst. Schneeweißes
     Haar umrahmte seine edlen, regelmäßigen Züge. Sein frischer Teint, seine blauen Augen verliehen ihm ein jugendliches Aussehen,
     obwohl er die Achtzig überschritten hatte. Seine Miene drückte Vornehmheit und Milde aus. Hätte ich nicht um die hinter dieser
     eindrucksvollen Fassade verborgenen Fehler und Schwächen gewußt, wäre ich der Wirkung seines hoheitsvollen Gesichts, seiner
     wohlklingenden Stimme und

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