Idol
Zügen des Kardinals herzzerreißende Verzweiflung. Er sank in sich
zusammen, so von Schmerz überwältigt und regelrecht benommen, daß ich den Kopf abwandte, halb verlegen, halb betroffen, denn
ich schämte mich, bei diesem Menschen, dessen Seelenstärke ich verehrte, einen Augenblick der Schwäche mitzuerleben. Dieser
peinvolle Moment kam mir unendlich lang vor, aber später wurde mir klar, daß es nicht mehr als fünf Minuten gewesen waren.
Danach wandte sich der Kardinal zu Filippo um und sagte mit erloschener Stimme: »Sag deiner Herrin, |266| daß ich sie im Laufe des Vormittags besuchen werde.« Und zu mir: »Laßt meine Kutsche vorbereiten und holt mich in einer Stunde
ab.« Nach diesen Worten entließ er mich mit einer knappen herrischen Geste und vergrub sein furchteinflößendes Haupt in den
Händen.
Als ich ihm nach Ablauf der Stunde meldete, die Kutsche stehe bereit, fand ich ihn so, wie ich ihn bisher immer gekannt hatte:
gebieterischer Blick, kräftige Stimme und undurchdringliches Gesicht. Diese Gefaßtheit wich auch dann nicht von ihm, als er
im Palazzo Rusticucci den blutüberströmten Leichnam seines Adoptivsohnes erblickte und an dessen Totenbett betete, stehend
und auf seine Krücken gestützt. Sein Gebet war kurz, und als er den Saal, ohne sich umzudrehen, verlassen hatte, versammelte
er die gesamte Familie und den Majordomus in einem anderen Zimmer. Er wandte sich zunächst an den Majordomus und befahl, unverzüglich
die Dienerschaft zur Ruhe zu bringen, von der man nur Weinen, Schreien und Wehklagen hörte. »Jeder gehe seiner gewöhnlichen
Beschäftigung nach, und zwar schweigend«, sagte er.
Allein mit der Familie, verlangte er sodann einen Überblick über die Vermögensverhältnisse im Palazzo Rusticucci. Es stellte
sich heraus, daß allein Giulietta Accoramboni auf diese Frage Auskunft geben konnte; von Francesco Peretti sehr geschätzt,
war sie eine Art Verwalterin für ihn gewesen. Sie legte dem Kardinal die Papiere, auf denen sie Ausgaben und Einnahmen vermerkt
hatte, zur Prüfung vor. Die Familie war trotz ihrer Trauer über das Ergebnis bestürzt: nach dem Wegfall der vom Vatikan an
seinen Dritten Kammerherrn gezahlten Bezüge würde der Palazzo mit dem vorhandenen Geld kaum noch drei Monate existieren können.
Daraufhin nahm Tarquinia das Wort und verkündete, von nun an werde sie selbst die Finanzen des Hauses in die Hand nehmen,
woraufhin Vittoria wütend und verächtlich ausrief: »Ihr!« Dieses eine Wort sprach Bände. Tarquinia öffnete schon den Mund
zu einer Entgegnung, als ihr der Kardinal einen vernichtenden Blick zuwarf und in einem Ton, der keine Widerrede duldete,
sagte:
»Francesco hat mit Giulietta eine ausgezeichnete Wahl getroffen, an die auch ich mich halten werde.«
Damit entließ er die Familie bis auf Giulietta, mit der er beriet, |267| was zur Verringerung der Ausgaben getan werden könnte: als erstes mußte offensichtlich die Hälfte der Dienstboten entlassen
werden. Der Majordomus wurde gerufen, damit eine Liste der zu Entlassenden aufgestellt würde. Giulietta hatte schon die Feder
in der Hand und wollte eben den Namen von Caterina Acquaviva auf die Liste setzen, als der Kardinal sie streng fragte: »Wollt
Ihr Vittoria ärgern?« Woraufhin Giulietta sogleich klein beigab.
Im Verlauf des Gesprächs äußerte sie die Hoffnung, der Papst in seiner Güte möge der Witwe seines Dritten Kammerherrn eine
kleine Pension aussetzen.
»Zählt nicht darauf«, sagte der Kardinal. »Die Tränen des Papstes werden reichlich fließen, aber Geld nicht.«
Er verbrachte noch eine gute Stunde mit Giulietta, um sich einen Überblick über Francescos Besitz zu verschaffen und festzulegen,
was davon zum Unterhalt der Familie herangezogen werden könnte. Er empfahl, zwei Höfe zu verkaufen, die fast nichts einbrachten,
und das Geld bei den Medicis in Florenz anzulegen. Giulietta gab zu bedenken, daß die Medicis auf Wucherzinsen liehen und
daß die Kirche dies verbiete, aber der Kardinal hob seine mächtigen Schultern und sagte: »Wollt Ihr päpstlicher sein als der
Papst?« Er spielte darauf an, daß Gregor XIII. den Medicis beträchtliche Summen zu nutzbringender Anlage übergeben hatte.
Als Giulietta ihm schließlich eingestand, sie wisse nicht, wie sie die Beisetzung bezahlen solle, sagte der als geizig verschriene
Mann: »Es kann keine Rede davon sein, daß Ihr irgend etwas bezahlt. Das übernehme ich.« Und er
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