Idol
Papstes und seiner Ratgeber und war fassungslos, darin den Ausdruck
unendlicher Erleichterung zu bemerken. Als der Mönch jedoch geendet hatte, gab der Heilige Vater nicht wie |288| sonst seiner Eloquenz freien Lauf, sondern beschränkte sich darauf, seine Räte um ihre Meinung zu ersuchen. Es folgte ein
langes verlegenes Schweigen, denn keiner der anwesenden Würdenträger wollte als erster das Wort nehmen, so heikel war die
Sache, und niemand kannte oder erriet auch nur die Vorstellungen des Heiligen Vaters in dieser Angelegenheit.
Der Papst verlor ob des Schweigens die Geduld, weswegen er sich an einen der anwesenden Kardinäle wandte und gebieterisch
fragte:
»Nun, Cherubi?«
Er hatte Cherubi nicht zufällig gewählt, war dieser doch für seine plumpe Offenheit bekannt.
»Allerheiligster Vater«, schmetterte Cherubi los, »ich denke, wenn die begonnene Verhandlung Erfolg hat, kommen wir billig
davon.«
»Billig?« fragte halblaut ein anderer Kardinal.
Cherubi ließ sich dadurch nicht im geringsten aus der Fassung bringen, sondern fuhr fort: »Ich meine, die Dinge könnten viel
schlechter stehen. Wenn zum Beispiel der Adel dem Pöbel die Zügel schießen ließe. Deshalb müssen wir mit den Nobili verhandeln,
solange noch Zeit ist.«
»Doch die Forderungen sind sehr hart«, wandte ein anderer Kardinal ein, »vor allem die zweite.«
Er sprach mit sanfter, beinahe zögernder Stimme: ein starker Kontrast zu Cherubis Posaunenton.
»Zweifellos sind die Forderungen hart«, sagte Cherubi, »be sonders in bezug auf Della Pace. Wir alle hier lieben und schätzen Della Pace. Wir haben ihm nichts vorzuwerfen. Aber durch ihn ist
das Unglück über uns gekommen. Er muß sich deshalb damit abfinden, das unglückliche Faustpfand des Friedens zu sein. Ihr,
Allerheiligster Vater, müßt ebensoviel Mut für dieses Opfer aufbringen wie einst Abraham für die Opferung seines Sohnes.«
Da der Papst auf diesen Diskurs mit kleinen Zeichen der Zustimmung reagierte, wagte niemand, gegen den geschmacklosen Vergleich
zu protestieren, der die Forderung blutgieriger Edelleute mit einem Gebot des Allerhöchsten auf eine Stufe stellte.
»Meine vielgeliebten Söhne«, sagte der Papst, der plötzlich in fieberhafter Hast die Debatte zu beenden trachtete, »wer teilt
die Ansicht von Kardinal Cherubi?«
|289| Niemandem konnte entgehen, daß diese Art der Fragestellung eigentlich schon die Antwort diktierte. Alle Hände hoben sich,
nur zwei nicht.
Da entschloß ich mich zu einer unerhört kühnen Geste. Ich warf mich dem Papst zu Füßen und stieß keuchend hervor:
»Allerheiligster Vater, wenn jemand geopfert werden muß, dann will ich es sein! Denn ich habe Della Pace befohlen, die beiden
Banditen festzunehmen. Daher bin ich der wahre Schuldige an dieser beklagenswerten Situation.«
Gregor XIII. schien durch diesen Einwand bestürzt zu sein. Er sah mich von seinem Thron herab mit seinen großen blauen Augen
an, als sei er um eine Antwort verlegen.
»Mein lieber Portici«, sagte da Cherubi mit seiner lauten Stimme, »leider fordern die Aufständischen nicht Euern Kopf. Und
wenn wir Euch opferten, wäre der Adel in keiner Weise zufriedengestellt. Es besteht daher kein Grund, unser Votum zu revidieren.
Im übrigen schlage ich vor«, dabei sah er den Hauptmann der Schweizergarde an, »die Angelegenheit schonend, quasi unversehens,
zu erledigen, ohne daß der Betroffene merkt, wie er vom Leben zum Tode befördert wird; man soll ihm den Kopf erst nach seinem
Hinscheiden vom Rumpf trennen.«
Ich schaute auf den Heiligen Vater, der in diesem Augenblick sein Haupt hin und her bewegte, was als ein Zeichen der Zustimmung
oder des Alters gedeutet werden konnte. Mir kam der Verdacht, er spiele seine Betagtheit aus, um schwächer und hinfälliger
zu wirken, als er in Wirklichkeit war. Denn tags zuvor hatte ich ihn noch lachend, lebhaft, spöttisch erlebt, die schlanke
Figur hoch aufgerichtet.
»Allerheiligster Vater …«, begann ich mit einer letzten Anstrengung.
Er unterbrach mich sofort:
»Glaubt mir, lieber Sohn, Wir sind zutiefst verzweifelt über den schmerzlichen Entschluß, den Uns die Tyrannei der Umstände
abnötigt. Er zerreißt zuallererst Uns selbst das Herz, und Wir wünschen jetzt allein gelassen zu werden, um dem Herrn Unseren
Schmerz und Unsere Betrübnis darzubringen.«
Dicke Tränen rollten langsam über seine rosigen Wangen.
»Ziehet hin in Frieden, lieber Sohn«, sagte er
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