Idol
auf und ab ging.
|347| »Cherubi«, fragte er kurz angebunden und vergaß für diesmal seine höflichen Manieren, »was ist mit dem Papst? Seit drei Tagen
habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Ich breitete die Arme aus und ließ sie zu beiden Seiten meines Körpers herabfallen.
»San Sisto erteilt ihm gerade die Letzte Ölung.«
»Das ist sehr betrüblich!« sagte Medici gespreizt und senkte den Kopf.
Aber gleichzeitig spielte ein leichtes Lächeln um seine Lippen, das sofort verschwand, als er meinen Blick spürte. Zwischen
uns herrschte Schweigen, das sich auf unser beider heimliche Belustigung gründete. Medici hatte gewonnen: er würde seine wertvolle
Gewürzmenage nun nicht mehr in den Vatikan schaffen müssen.
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|348| KAPITEL XII
Ehrwürden Luigi Palestrino,
Theologe:
Am 10. April 1585, um drei Uhr nachmittags, hauchte Gregor XIII. seinen letzten Seufzer aus. Dieser Ausdruck ist mir lieber
als die Umschreibung »die Seele aushauchen oder aufgeben«, welche die Seele zu Unrecht mit dem Atem gleichsetzt, während sie
doch nichts Stoffliches hat und mit keinem Bild oder Gleichnis von dieser Welt verdeutlicht werden kann.
Ich mißtraue der oberflächlichen und unüberlegten Sprache des gemeinen Mannes, und ich bin sehr entrüstet, wenn ich höre und
lese, die Seele eines Kindes würde von seinen Eltern im Augenblick der Empfängnis geschaffen. Das ist die reine Irrlehre:
die Nachfahren Adams haben dieses Privileg nicht. Es ist allein Gottes Sache. Gott der Herr allein hat die Macht, eine Seele
zu erschaffen.
In diesem Punkt gibt es nichts zu debattieren noch in Zweifel zu ziehen. Worüber man allerdings debattieren kann, ist der
Zeitpunkt, zu dem einem neuen menschlichen Wesen die Seele eingehaucht wird: im Augenblick der Empfängnis oder im Augenblick
der Geburt. Wie immer man sich entscheidet, es spricht in beiden Fällen etwas dagegen. Denn wenn das Kind seine Seele erst
im Moment der Geburt erhält, hat es folglich in den neun Monaten seines Lebens im Uterus noch keine gehabt. Wenn es die Seele
aber schon im Augenblick der Empfängnis erhalten hat, müßte man es dann nicht bereits im Mutterleib taufen? Denn was wird
aus dieser Seele, wenn die Mutter vor der Zeit niederkommt und ihr Kind tot geboren wird?
Es gibt zwei Gründe, weswegen wir Theologen ständig untereinander streiten: zum einen versuchen wir, jene Punkte unseres Glaubens
zu erhellen, die die göttliche Offenbarung im dunkeln gelassen hat, und zum anderen ist es uns nicht möglich, unsere diesbezüglichen
Thesen durch zwingende Beweise zu untermauern. Ich möchte hier nur ein Beispiel anführen. Seit dem |349| heiligen Thomas von Aquino disputieren wir darüber, ob man das Vorhandensein von Materie bei den Engeln bejahen soll oder
nicht. Bekanntlich hat der heilige Thomas es verneint, doch trotz seiner absoluten Autorität sind manche von uns noch sehr
weit davon entfernt, sich dieser Ansicht anzuschließen.
Um auf Gregor XIII. zurückzukommen (bei dem, wie ich hier nebenbei und ohne jede Bitterkeit erwähnen möchte, die Theologen
nicht gerade gut angeschrieben waren – der Heilige Vater warf ihnen vor, gegenüber seinen
precetti
Bedenken geäußert zu haben, die er spöttisch als »Gekeife« bezeichnete): er starb, ohne aus den Händen von Kardinal San Sisto
die Letzte Ölung empfangen zu haben, weswegen wir in großer, schmerzlicher Angst ob seines Seelenheils waren; denn der Papst
hatte sich in seiner Lebensweise, in der Führung der Christenheit und in der Regierung seines Staates nicht immer als sehr
gottesfürchtig erwiesen.
Ich war aufs höchste überrascht, als mir Fürst Orsini am Tag nach dem Tod des Papstes eine Kutsche ohne Wappen schickte und
ein Billett mit der Bitte, ihn bei Anbruch der Nacht in Montegiordano aufzusuchen. Ich glaubte den Fürsten in Bracciano. Und
dort war er am Abend zuvor auch gewesen. Aber da er offenbar noch enge Beziehungen zur Entourage des Heiligen Vaters hatte,
war er von dessen unmittelbar bevorstehendem Ende benachrichtigt worden und war in der Nacht gen Rom geritten, was seinem
verwundeten Bein heftige Qualen verursacht haben muß.
Ich bemerkte es sofort, als ich ihn beim Betreten des Raumes, in dem er mich erwartete, auf seinem Sessel gleichsam liegen
sah, das linke Bein ausgestreckt, mit beiden Händen den Schenkel umfassend, als wolle er so den Schmerz zurückdrängen, und
den Mund leidvoll verzogen. Ein Anblick von nur
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