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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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daß man dort Feuer
     mache.«
    »Warum nicht?« wollte der Papst wissen, der mir diese Frage schon mindestens ein dutzendmal gestellt hatte.
    »Man wäre versucht, länger bei Tisch zu verweilen, wenn ›man dort nicht so fröre‹. Die Nonne, die uns bediente …«
    »Nein, nein, Cherubi, nicht so schnell. Während des Essens machte Montalto kleine Scherze auf französisch.«
    »Richtig, Allerheiligster Vater. Er sagte (hier imitiere ich Montaltos tiefe Stimme):
›N’oubliez pas, Cherubi, que la chère mène à la chair, et qu’après la panse, vient la danse …‹
1 «
    »Ausgezeichnet! Weiter!«
    »Dann das Essen, welches die Nonne uns brachte …«
    »Nein, nein!« rief der Heilige Vater. »Cherubi, Ihr habt wohl nicht ausgeschlafen! Ihr vergeßt ja alles! Ihr habt die Nonne
     noch nicht beschrieben.«
    »Ja, Allerheiligster Vater, sie war alt und sagenhaft verhutzelt und mager wie ein Skelett. Und so ausgetrocknet, daß sie
     beim Laufen knarrte. Es fehlte ihr nur die Sense, um den Gevatter Tod spielen zu können.«
    »Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Weiter, Cherubi.«
    »Eines Tages verkündete sie uns beim Mittagessen mit konsternierter Miene, sie habe vergessen, ihre Vorräte aufzufüllen, und
     es seien nur noch zwei Eier da. ›Das macht nichts!‹ sagte Montalto. ›Gebt Cherubi das größere, der ist ein starker Esser.
     Rossellino und ich teilen uns das kleine.‹«
    »Ausgezeichnet, Cherubi! Ausgezeichnet!«
    Obwohl sein Gedächtnis jetzt manche Lücken aufwies, erinnerte er sich genauestens an Dinge, die Jahre zurücklagen, und vergaß
     auch seine Ressentiments nicht, die ihn mitunter zu nachgerade boshaften Sticheleien verleiteten.
    »Cherubi, entsinnt Ihr Euch an die Worte Montaltos, als er |342| zum ersten Mal Vittoria sah: ›Wer könnte sie sehen, ohne sie zu lieben! Wer könnte sie hören, ohne sie anzubeten!‹«
    Und er lachte und fügte bissig hinzu:
    »Er dürfte heute wenig erfreut darüber sein, unser guter Heiliger, daß die so sehr geliebte Nichte mit einem Seeräuber im
     Konkubinat lebt …«
    Eines Tages gewährte mir der Papst eine äußerst seltene Gunst, derer nur wenige Prälaten im Vatikan sich rühmen durften: er
     zeigte mir seine Sammlung. Ganz anders als seine Vorgänger und sein berühmter Nachfolger wendete Gregor XIII. nur wenig Geld
     für die Verschönerung der Ewigen Stadt auf. Dagegen gab er es mit vollen Händen für seine Pretiosensammlung aus – ein Lebenswerk,
     für das er einen Saal mit Spiegeln ausgestattet hatte, darin die Kleinodien unendlich viele Male reflektiert wurden. Am Tage
     war der Saal von hohen Fenstern erhellt, nachts von venezianischen Lüstern mit unzähligen Kerzen. Da die Besichtigung während
     einer der schlaflosen Nächte des Heiligen Vaters stattfand (in der er mich unverzüglich holen ließ, so wie es ihm zur Gewohnheit
     geworden war), brauchte der bedauernswerte, ebenfalls hastig aus dem Schlaf gerissene Kammerdiener (der sicher nicht weniger
     unglücklich war als ich) eine reichliche halbe Stunde, um alle Kerzen auf den Lüstern anzuzünden; dann wartete er, an den
     Türrahmen gelehnt und im Stehen schlafend, zwei Stunden auf das Ende der Besichtigung.
    Wenn ich nicht selbst halb eingeschlafen wäre (denn ich brauche viel Schlaf), hätten mich all diese Wunderwerke geblendet,
     die der Heilige Vater nacheinander aus den eigenhändig aufgeschlossenen Vitrinen nahm, mit seinen sanften, schön geformten
     Händen streichelte und mir zeigte, ohne sie mich allerdings berühren zu lassen, so eifersüchtig hütete er sie: Edel- und Halbedelsteine
     aus aller Welt in großer Zahl, größtenteils aus den beiden Indien, Brasilien, Ceylon oder Sibirien, davon mir einige unbekannt
     waren (aber ich wagte nicht, nach ihrem Namen zu fragen), und alle zu prachtvollen goldenen Schmuckstücken verarbeitet, deren
     ziselierte Fassungen von den bekanntesten Meistern stammten. Der Heilige Vater hatte einen Experten zur Schätzung seiner Reichtümer
     kommen lassen; da er aber die Schätzung für zu niedrig befand, wolle er einen berühmten lombardischen Künstler für eine erneute
     Schätzung rufen, sagte er.
    |343| Während der ganzen Zeit, da er mir seine Kleinodien zeigte, spielte ein abwesendes Lächeln um seine Lippen, sein etwas vager
     Blick schien sich im Feuer dieser Steine und ihrem Reflex in den Spiegeln zu verlieren. Solange die Besichtigung dauerte (und
     sie erschien mir sehr lang), wirkte er frisch und munter; aber sowie sie beendet

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