Idol
kurzer Dauer, denn sowie der Fürst meiner ansichtig wurde, erhob er sich mit
soldatischer Schnelligkeit, kam rasch, wenn auch auffällig hinkend, auf mich zu, begrüßte mich, nahm meine Hände und ließ
mich auf dem Sessel Platz nehmen, den er soeben verlassen hatte. Ich war über diesen liebenswürdigen Empfang gerührt, zumal
er mir von einem Mann bereitet wurde, der körperlich und seelisch so viel zu leiden hatte.
Ohne Umschweife begann er: »Pater, Ihr habt mir in unserem letzten Gespräch gesagt, ich könnte die Zeit des Interregnums |350| zwischen dem Tod Gregors XIII. und der Wahl des neuen Papstes vorteilhaft für meine Angelegenheit nutzen. Wie steht es nun
damit, jetzt, da die Zeit gekommen ist?«
»Wollet mir bitte keine Fragen stellen, Durchlaucht«, erwiderte ich, »und insbesondere nicht diese Frage. Sie ist überflüssig,
denn ich weiß genau, weswegen ich hier bin.«
Der Fürst wurde keineswegs ärgerlich, sondern begnügte sich mit einem Lächeln, und ich begriff, warum dieser Mann von den
Frauen so geliebt wird: er strahlt große Herzlichkeit aus. Ich weiß nicht warum, doch ich empfand in diesem Augenblick ein
gewisses Mitgefühl für ihn. So ein mächtiger Fürst, und so beispielhaft in unserer Zeit: mutig, klug, gebildet, kunstsinnig,
und was das Aussehen betrifft, so stattlich, breit und kräftig … Ein schöner Mensch – und doch so verletzlich und gefangen
in dieser vergänglichen Welt.
»Durchlaucht«, fuhr ich fort, »ein Interregnum ist ein vorübergehender Zustand in einer Gesellschaft, der aber viel Freiheit
läßt für Menschen wie Euch, die ein Unrecht zu bereinigen haben. Denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Kirchenstaat ohne
Oberhaupt und die Christenheit ohne Hirt.«
»Darf ich daraus den Schluß ziehen, daß ich dieses Interregnum nutzen kann, die Gültigkeit meiner Ehe zu proklamieren?« fragte
er, denn er hatte im Feuer der Leidenschaft meine Ermahnung schon wieder vergessen.
»Durchlaucht, das wäre Wahnsinn! Wenn Ihr ein
precetto
des dahingeschiedenen Papstes so mißachtet, lenkt Ihr den Zorn des neuen Papstes auf Euch. Die Form muß gewahrt bleiben! Ihr
solltet Theologen zusammenrufen und sie konsultieren. Und wenn deren Rat zu Euern Gunsten ausfällt, dann – und nur dann –
könnt Ihr wieder heiraten.«
»Wieder heiraten?« sagte er und riß die Augen auf. »Ich bin doch verheiratet!«
»Vergebung, Durchlaucht, Ihr seid es nicht. In den Augen der Kirche seid Ihr es nicht mehr. Und Ihr müßt wissen, daß es auf
der Welt keinen Theologen gibt, der ein päpstliches
precetto
annullieren darf. Er wird Euch nur sagen können, daß Ihr nach seiner Meinung wieder heiraten dürft.«
»Und wer garantiert mir«, fragte er, »daß der neugewählte Papst nicht seinerseits ein
precetto
zur Auflösung meiner neuen Ehe erläßt?«
|351| »Niemand, Durchlaucht, absolut niemand. Dieses Risiko müßt Ihr eingehen.«
»Mein Gott!« rief er und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. »Welche Tyrannei!«
Darauf erwiderte ich nichts, denn ich teilte im vorliegenden Fall weitgehend seine Meinung. Was aber nichts an dem Prinzip
änderte, das ich vertrat:
dura lex, sed lex.
1 Die Vorteile, die der Christenheit aus der Allmacht des Papstes erwachsen, überwiegen in meinen Augen die aus dem Mißbrauch dieser Allmacht
resultierenden Nachteile.
»Wenn Ihr meinen Ansichten folgt, Durchlaucht: hier ist eine Liste mit den Namen von sieben hochgeachteten Theologen. Versammelt
sie hier und laßt sie beraten.«
Er warf einen kurzen Blick auf die Liste und fragte: »Warum sieben, Pater?«
»Damit eine Mehrheit zustande kommt, und sei es nur mit einer Stimme; denn wir werden abstimmen, und zwar geheim.«
»Warum geheim?«
»Um nicht auf diesen oder jenen den Zorn des neuen Papstes zu lenken, der unsere Ansicht ja vielleicht nicht teilen wird.«
»Ist es möglich, daß sich die Patres schon morgen hier versammeln?« fuhr er ängstlich fort.
»Ich werde mich dafür verwenden, doch zuvor, Durchlaucht, möchte ich gern unter vier Augen mit Eurer Frau Gemahlin sprechen.
Und bitte, wollet mir darüber keine Fragen stellen; ich werde Euch nicht antworten. Es steht Euch frei, die Signora nach dem
Gespräch über seinen Inhalt zu befragen.«
Auf seinem ehrlichen und offenen Gesicht konnte ich ablesen, wie es ihn freute, daß ich – aus purer Höflichkeit – Vittoria
Accoramboni seine Gemahlin nannte.
»Ich werde sie rufen«, sagte er
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