Idol
war, überfiel ihn die Müdigkeit. Er ließ
sich auf dem Lehnstuhl nieder, den ich ihm hinschob, den Nacken auf der Rückenlehne, die Augen geschlossen. Selbst jetzt wollte
er den Saal nicht verlassen, ehe nicht der Diener alle Kerzen gelöscht hätte. Mit schwacher Stimme erklärte er mir, eigenhändig
mit den drei Schlüsseln, die er niemals aus der Hand gab, abschließen zu wollen. Als endlich die letzte Kerze erloschen war,
erhob er sich und verriegelte, auf meinen Arm gestützt, mit sicherer, keineswegs zitternder Hand die Tür, die offenbar sehr
schwer und mit Eisen gepanzert war.
Ich begleitete ihn zurück zu seinen Gemächern, wo er zum Auskleiden erwartet wurde. Als ich ihn seinem Kammerherrn überantwortete,
hob er den Kopf, sah mich an und sagte erstaunt:
»Ihr hier, Cherubi? Ist es denn schon Tag?«
Gleichzeitig rollten, Gott weiß warum, große Tränen seine rosigen Wangen herab. Vielleicht war er tief im Innersten darüber
betrübt, seine Schätze nicht mitnehmen zu können, wenn ihm die Stunde schlagen würde.
Trotz aller Ermüdungserscheinungen in Verhalten, Gedächtnis und Intelligenz war er bei guter Gesundheit. Und das Animalische
in ihm, wenn ich mich in seinem Fall so ausdrücken darf, funktionierte ausgezeichnet, zumal wenn man bedenkt, daß er in sein
fünfundachtzigstes Lebensjahr ging.
Dieser Gedanke kam mir auch am 4. April 1585, als sich der Papst Schlag zwölf Uhr zum Palazzo Medici begab, wo ihn der Kardinal
zum Mittagsmahl geladen hatte. Ich sehe ihn wieder vor mir, wie er auf dem Petersplatz im Begriff stand, seinen weißen Zelter
zu besteigen: kerzengerade und schlank, mit azurblauen Augen, rosigen Wangen, ein Lächeln auf den Lippen. Er trug einen roten
Hut und eine weiße Soutane mit Kapuze, deren roter Samt sich am Zaumzeug seiner schönen Stute wiederholte. Zweihundert Hofleute
– Offiziere und Würdenträger, alle zu Pferd – standen bereit, ihn als Vor- und Nachhut durch die Straßen Roms zu begleiten.
Der Papst, der sich, von |344| seiner Eskorte umgeben, freundschaftlich mit dem Kardinal di Medici unterhielt, den er um Haupteslänge überragte, bot ein
solches Bild von Eleganz, Würde und Vornehmheit, daß wir alle sehr beeindruckt waren. Und das vollends, als er seinem Reitknecht,
der den weißen Zelter herangeführt hatte, mit einer Hand die Zügel abnahm, mit der anderen bedeutete, beiseite zu treten,
den Fuß in den Steigbügel setzte und sich mit bewundernswerter Leichtigkeit und Kraft in den Sattel schwang.
Es hatte am Morgen gefroren – etwas Außergewöhnliches an einem 4. April in Rom –, doch die Sonne hatte mittlerweile Nebel
und Frost vertrieben, stand nun im Zenit und wärmte uns auf das angenehmste die Schultern. Obwohl man Sorge getragen hatte,
entlang den Straßen, die der Heilige Vater passieren würde, Schweizergarden aufzustellen, schien das einfache Volk mehr Bewunderung
als Feindseligkeit für unseren prachtvollen Zug zu empfinden, ohne allerdings richtig zu applaudieren.
Man hat so viele Dummheiten und Sticheleien über den Geiz der Medicis verbreitet und ihnen fortwährend vorgeworfen, sie röchen
nach Bankwesen und Handel, daß ich es der Wahrheit schulde, hier festzustellen: der Empfang des Kardinals war in jeder Hinsicht
eines großen Kirchenfürsten würdig und verband glänzenden Prunk mit auserlesenstem Geschmack. Obwohl Gregor XIII. nur mäßig
aß, war er durchaus ein Feinschmecker und liebte es, lange bei Tisch zu sitzen und heiter mit seinen Tischnachbarn zu plaudern.
Nach dem Essen wollte Kardinal di Medici, der ebenfalls sehr wertvolle Kleinodien besaß, dem Papst seine Sammlung zeigen,
was dieser mit Freuden annahm; mit liebenswürdigem Lächeln sagte er zu mir: »Kommt, Cherubi, Ihr sagt Uns dann, ob Ihr sie
schöner findet als Unsere.«
Die Medici-Sammlung reichte weder von der Quantität noch von der Qualität her an die des Papstes heran – mit Ausnahme eines
monumentalen Gewürzständers, bei dem es sich um eine Replik des von Benvenuto Cellini für den französischen König Franz I.
ziselierten Gefäßes handelte. Auffallend daran waren zwei sitzende nackte Figuren, eine männliche und eine weibliche, davon
die eine den Ozean, die andere die Erde darstellte; beide hatten die Beine ineinander verschlungen, in Anspielung auf die
Meeresarme, die weit ins Land hineinreichen. Die Erde, eine Frauengestalt von hinreißender Schönheit und Grazie, hatte die
Hand auf ein
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