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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Leidenschaften, nicht einmal vom Hörensagen.
     Ich bin Theologe, nicht Beichtvater.«
    |356| Sie sieht mich zerknirscht an, als bedaure sie den Ton ihrer Frage. Ich sage milde zu ihr:
    »Schreibt bitte, Signora.«
    Nach einer Weile fahre ich fort:
    »Hättet Ihr den Fürsten geheiratet, wenn Gregor XIII. Euch nicht in der Engelsburg eingeschlossen hätte?«
    »Ich glaube, nein: aus Angst, man könnte mich für schuldig halten.«
    »Wie erklärt Ihr dann, daß Ihr ihn geheiratet habt, nachdem er Euch aus der Engelsburg herausgeholt hatte?«
    »Das Unglück war nun einmal geschehen: wegen meiner Einkerkerung hielt mich niemand mehr für schuldlos.«
    »Schreibt bitte.«
    Dann fahre ich fort:
    »Ihr wißt natürlich, Signora, daß Ihr auf Grund des
precetto
Gregors XIII. jetzt nicht mehr mit dem Fürsten Orsini verheiratet seid?«
    »Ja, ich weiß, aber es ist wider das Recht!« ruft sie leidenschaftlich.
    »Signora, ich bitte Euch, nehmt diese Bemerkung aus Respekt vor dem Heiligen Stuhl zurück. Anderenfalls müßtet Ihr sie schwarz
     auf weiß zu Papier bringen, und das wird einen sehr schlechten Eindruck auf die Theologen machen.«
    »Ich nehme die Bemerkung zurück.«
    »Nun meine letzte Frage: Wenn Ihr in naher Zukunft die Möglichkeit hättet, den Fürsten wieder zu heiraten, würdet Ihr es tun?«
    »Aus tiefstem Herzen: ja!«
    »Ist dieses ja Euer wohlüberlegter, unerschütterlicher Wille?«
    »Gewiß!«
    »So schreibt bitte.«
    Zum Schluß lasse ich sie noch Datum und Unterschrift hinzufügen. Obwohl dieses Gespräch für mich, der ich so zurückgezogen
     von der Welt lebe, eine Art Prüfung war (allerdings weniger hart, als ich geglaubt hatte), bin ich mit der Signora zufrieden.
     Sie hat meine Fragen klar, sicher und logisch beantwortet und hoffentlich auch ehrlich. Der einzige Punkt, der mich ein wenig
     beunruhigt, ist, daß sie sich in den Fürsten verliebt haben will, nachdem sie ihn nur fünf Minuten lang gesehen |357| hatte. Wenn die Frauen fähig sind, sich in so kurzer Zeit eine Kette zu schmieden, mit der sie dann ein ganzes Leben lang
     gefesselt sind, so muß man sie wohl zutiefst bedauern.
    Die Signora erhebt sich, übergibt mir das Protokoll und verabschiedet sich sehr liebenswürdig von mir. Abgesehen von ihrer
     Schönheit, deren Bestimmung mir im theologischen Sinne ein quasi unlösbares Problem darstellt, scheint mir die Signora ein
     höchst achtbares menschliches Wesen zu sein. Ich nutze das Alleinsein, um mich zu sammeln, und richte ein kurzes Gebet an
     den Himmel, sie möge – mit dem von ihr erwählten Gefährten – ihren Seelenfrieden wiederfinden.
    Als der Fürst zu mir zurückkehrt, halte ich ihm wortlos die Aussage der Signora hin. Er liest sie in einem Zug, mit einem
     leichten Erstaunen.
    »Noch eine Frage, Pater, und vielleicht nicht die letzte. Warum insistiert Ihr in solchem Maße, daß mich die Signora aus freiem
     Willen geheiratet hat und sich gegebenenfalls aus freiem Willen wieder mit mir verheiraten würde?«
    »Durchlaucht, ich habe es Euch schon erklärt: es ist der Wille der beiden Ehegatten, einander anzugehören, auf dem das Sakrament
     der Ehe in den Augen der Kirche beruht. Ich beabsichtige, mit diesem Zeugnis der Signora zu beweisen, wie fest und glaubwürdig
     die durch das
precetto
zerstörte Bindung ist.«
    »Das verstehe ich; aber warum stellt Ihr dann nicht die gleichen Fragen auch mir?«
    Hier kann ich mein Lächeln über die Naivität der Frage nicht unterdrücken.
    »Euer Wille, Durchlaucht, die Signora zu ehelichen, muß nicht mehr bewiesen werden, so offenkundig ist er für alle Welt. Ihr
     habt einen Aufstand ausgelöst, um die Signora aus dem Kerker zu befreien. Und tut Ihr derzeit anderes, als Himmel und Erde
     in Bewegung zu setzen, um ihr Gatte zu bleiben?«
    Als mich später die wappenlose Kutsche zu meiner Behausung zurückbringt, denke ich über meine Worte von eben nach: »Himmel
     und Erde in Bewegung setzen«. Sie kommen mir jetzt in höchstem Maße unpassend vor. Man kann wohl die Erde »in Bewegung setzen«,
     da der Mensch aus so veränderlichem Stoff gemacht ist, ganz gewiß aber nicht den Himmel, dessen Gesetze unwandelbar und ewig
     sind.
     
     
    |358|
Seine Eminenz Kardinal Cherubi:
     
    Der Tod Gregors XIII. löste von der ersten Minute an hektische Aktivitäten aus, denn seine Nachfolge brachte wichtige personelle
     und nationale Interessen ins Spiel. Ich selbst war wegen meiner unverblümten Direktheit nie
papabile
gewesen und

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