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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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hatte keine anderen Ambitionen, als eines Tages Patriarch von Venedig zu werden. Deswegen ließen mich diese Machenschaften
     und Intrigen kalt; ich war nur darauf bedacht, meine Stimme und Unterstützung einem Kardinal zu geben, der sich als künftiger
     Papst meinen Plänen nicht entgegenstellen würde.
    Niemand im Vatikan war naiv genug zu glauben, die Fürsten dieser Welt würden nicht versuchen, Einfluß auf die Wahl zu nehmen,
     insbesondere der mächtigste von allen, Philipp II., dessen Besitz Österreich, die Niederlande, Spanien, Portugal umfaßte,
     dazu – in Italien – Mailand und das Königreich Neapel und Sizilien, ganz zu schweigen von seinem ungeheuren Weltreich in den
     beiden Amerikas, die ihm das Gold für seine Kriege und die Ausweitung seines Einflusses lieferten.
    Sein Botschafter, Graf Olivares, trug daher Sorge – bevor sich die Türen zum Konklave schlossen –, alle in Rom anwesenden
     Kardinäle aufzusuchen und sie zu bedrängen, daß ein Papst gewählt würde, dem die Interessen Spaniens am Herzen liegen. Er
     kam auch zu mir in meinen römischen Palast und blieb sehr lange, da er mir einen Einfluß auf das Konklave zuschrieb, den ich
     gar nicht hatte. Nicht, daß er dumm gewesen wäre, aber es fehlte ihm an Fingerspitzengefühl. Und die Arroganz, die alle Welt
     einstimmig den Iberern zum Vorwurf macht, zeigte sich bei ihm besonders ausgeprägt. Hochmütig und stolz, sprach Olivares zu
     den Prälaten im Tonfall eines Mannes, der Anweisungen erteilt. Der geringste Widerspruch verärgerte ihn; er machte großzügige
     Versprechungen, sparte aber auch nicht mit kaum verhohlenen Drohungen. Meine Ansicht nach diesem Gespräch war, daß er des
     Guten zuviel tat und so der Sache seines Herrn mehr schadete als nützte.
    Der König von Frankreich, Heinrich III., dem die Anhänger der Liga – ganz auf der Seite Philipps II. stehend – das Leben schwer
     und sogar die Macht in seinem eigenen Königreich streitig machten, hatte dagegen wenig Einflußmöglichkeiten auf das Konklave.
     Doch er genoß gewisse Sympathien bei denen, |359| die den übermächtigen Philipp II. fürchteten, vor allem bei Kardinal d’Este, dessen verwandtschaftliche Bande zum französischen
     Königshaus bekannt waren. Und d’Este – Sproß eines mächtigen italienischen Fürstengeschlechts, dem das Herzogtum von Ferrara,
     Modena, Reggio und Rovigo gehörte – hatte durchaus Einfluß unter uns.
    Am 21. April nach der Messe gingen wir ins Konklave und verbrachten den Tag damit, unsere Zellen in Besitz zu nehmen und uns
     gegenseitig Höflichkeitsvisiten abzustatten, wobei ein jeder mit langen Fühlern das Terrain abtastete und die Chancen der
     bestplazierten Kandidaten und gegebenenfalls seine eigenen einzuschätzen versuchte.
    Wir fanden es pikant, unsere schönen Paläste zu verlassen und uns in Klausur zu begeben, jeder in eine bescheidene Zelle für
     sich. Das verjüngte uns gewissermaßen; und wir konnten dieses neue Gefühl mit um so größerem Vergnügen auskosten, als unser
     jugendgemäßer Mangel an Komfort nicht von langer Dauer sein würde. Am Beginn des Konklaves, das für die Christenheit, für
     den Staat und für uns selbst so wichtig war, herrschte hier – neben ständiger Aufregung – eine mit einer gewissen unschuldigen
     Fröhlichkeit gepaarte klösterliche Atmosphäre.
    Sich dieser Stimmung zu überlassen wäre sehr verlockend gewesen, hätten wir nicht auf der Hut sein müssen. Auch hinter den
     liebenswürdigsten Worten und freundschaftlichsten Blicken konnte sich Berechnung verbergen. Ich selbst, ein unverbesserlicher
     Tölpel, dessen Tölpeleien amüsierten und daher von meinesgleichen mit einem gewissen Maß an Nachsicht aufgenommen wurden,
     mußte mich zügeln und durfte meine Direktheit nur zum Schein beibehalten.
    Außer mir sprach im Konklave kein Prälat ein lautes Wort: es wurde nur gemurmelt. Sogar wer an eine Tür klopfte, tat es diskret.
     Begegneten sich die Purpurroben in den engen Gängen zwischen den Zellen, so vernahm man nichts als ein gedämpftes Rascheln.
     Die Schritte waren fast unhörbar, die Gebärden langsam und lautlos, die Blicke meist gesenkt. Trotz der dicken Mauern unterhielt
     man sich in den Zellen nur im Flüsterton und bediente sich mit Vorliebe der Litotes. Ein Lächeln, ein Stirnrunzeln, ein Blick
     sagten mehr als Worte und widerlegten diese manchmal sogar. Keiner redete abfällig über den anderen, es sei denn durch Paralipsen.
     Und die Sammlung,

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