Idol
die Frömmigkeit |360| der Prälaten bei den morgendlichen und abendlichen Offizien hätte selbst die größten Skeptiker erbaut.
Am zweiten Tag begab sich das Konklave in die erste Schlacht, und die Hoffnungen all der Kardinäle, die sich als Anwärter
auf die Papstkrone sahen, waren auf dem Siedepunkt angelangt. Denn Anwärter konnte fast jeder sein, auch der unauffälligste;
schon manches Mal war ein als unbeschriebenes Blatt geltender Kardinal gewählt worden, nur um einen talentierten Prälaten
scheitern zu lassen, den man gerade seiner Talente wegen für gefährlich hielt.
Nach meinem Gefühl hatte von Anfang an Kardinal Alessandro Farnese die besten Chancen. Er gehörte dem berühmten Fürstengeschlecht
an, das über das Herzogtum Parma und Piacenza regierte. Intelligent und fähig, war er zudem ein Humanist, ein Mäzen und Freund
der Künste; und vor allem fiel wohl ins Gewicht, daß sein Neffe und Namensvetter Alessandro Farnese – von der Mutter her ein
halber Österreicher – von Philipp II. zum Statthalter der Niederlande ernannt worden war und sich durch deren Befriedung ausgezeichnet
hatte. Die Meriten des Neffen ergänzten also die des Onkels, und beide konnten der Gunst Philipps II. sicher sein, wodurch
eine Kandidatur, die der Betroffene zwar nicht erklärte, die sich jedoch unvermeidlich aus seiner Stellung auf dem Schachbrett
des Konklaves ergab, erst recht Gewicht und Glanz erhielt.
So löste es Überraschung aus, als am zweiten Tag des Konklaves die Kardinäle Altemps und di Medici dem Kardinal Sirleto den
Vorzug gaben, der als Neapolitaner ein Geschöpf Philipps II. war und mithin dessen Sache vertrat.
Seine beiden Fürsprecher hatten ganz unterschiedliche Beweggründe: Altemps unterstützte die Kandidatur, weil er selbst auf
seiten Spaniens stand und deshalb dessen Sieg erhoffte. Medici unterstützte Sirleto, weil er als Freund Spaniens gelten wollte,
ohne es wirklich zu sein, vor allem aber, um die Kandidatur Farneses scheitern zu lassen, den er für viel gefährlicher als
Sirleto hielt. Außerdem konnte er von letzterem eine gewisse Dankbarkeit erhoffen. Medici war Staatssekretär unter Pius IV.
und Gregor XIII. gewesen; und warum nicht auch unter Sirleto, wenn Sirleto Papst würde? 1
|361| Gegen diese Kandidatur formierte sich sofort eine starke, wenn auch heterogene Opposition. Viele Kardinäle wollten von Sirleto
nichts wissen, eben weil sie befürchteten, daß Medici unter seiner Regierung zum dritten Mal Staatssekretär würde. Die Kardinäle
d’Este und Farnese waren ihm ebenfalls feindlich gesinnt, aber aus unterschiedlichen Gründen. Ersterer, weil ihm die Interessen
Frankreichs am Herzen lagen und er deshalb einen Papst fürchtete, der dem König von Spanien ergeben wäre. Farnese dagegen,
weil er selbst auf die Tiara hoffte. Nach Auszählung der Stimmen schied Sirleto aus.
Zu diesem Zeitpunkt traten zwei Ereignisse ein, die besser in eine Komödie gepaßt hätten. Das erste trug sich im Konklave
zu, schien zunächst von großer Bedeutung zu sein, hatte aber tatsächlich kaum Einfluß auf die Abstimmung. Das zweite fand
außerhalb des Konklaves, noch dazu auf der Straße statt und machte die Chancen des aussichtsreichsten Kandidaten zunichte.
An jenem Tage, dem Ostermontag, kurz vor der Mittagsstunde, wurde mit starken Schlägen an die dreifach verriegelte Tür des
Konklaves geklopft: Kardinal Andrea war in Rom eingetroffen und begehrte Einlaß. Viele Kardinäle waren konsterniert, denn
Andrea war nicht nur Kardinal, sondern gleichzeitig Erzherzog von Österreich. Daraus erklärte sich auch, daß neben ihm der
spanische Botschafter stand. Er war es, der so gebieterisch an die Tür geklopft hatte, daß die Kardinäle hochgefahren waren.
Das zeigte sich, als man das Türfensterchen öffnete, um die Unterhandlungen aufzunehmen. Wir waren wirklich alle recht verstört.
Dem österreichischen Erzherzog Einlaß zu gewähren bedeutete quasi, Philipp II. an unserer Abstimmung teilnehmen zu lassen.
Doch wie sollten wir Andrea den Zutritt verwehren, nachdem Gregor XIII. so schwach gewesen war, ihn zum Kardinal zu ernennen?
Mit unserem Einverständnis, das wir ihm flüsternd zu verstehen gaben, griff Medici zu der Methode, die er schon im Falle seiner
kostbaren Gewürzmenage so erfolgreich angewendet hatte: Zeit gewinnen!
»Euer Eminenz wollen gütigst Euern Eintritt etwas verschieben, denn die Teilnehmer des Konklaves setzen sich
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