Idol
Exil?«
»Mitnichten. Es ist ein dringlicher Rat, dessen Befolgung wir von Euch erwarten. Wir verabscheuen nicht Euch als Person, Herzog,
doch wir verabscheuen die Unordnung, die Eure Leidenschaft in den Staat hineingetragen hat. Und wir möchten, daß diese Unordnung
ein wenig in Vergessenheit gerät.«
Sixtus V. straffte seinen mächtigen Oberkörper, die Hände auf die Armlehnen des Sessels gestützt. Er hob den schweren Kopf,
sah den Fürsten scharf an und sagte in einem Ton, der unmißverständlich ausdrückte, daß er am Ende dieser Audienz weder Dankesbezeigungen
noch Ergebenheitsbekundungen noch ehrerbietige Abschiedsfloskeln erwarte:
»Unsere Unterredung ist beendet, Herzog.«
Giuseppe Giacobbe,
Vorsteher des römischen Gettos:
Als im Jahre 1585 Sixtus V. den Thron bestieg, dieser große, dieser edle Papst, der wahrlich vom Geiste Adonais erfüllt ist,
obgleich er sich wie sein ganzes Volk zur christlichen Irrlehre bekennt, da waren wir Juden im Kirchenstaat ein Vierteljahrhundert
lang schlimmer verfolgt worden als je zuvor. Papst Pius V. war 1569 sogar so weit gegangen, alle Juden zu vertreiben – nur
in Rom und Ancona durften wir bleiben –, und hatte seine beispiellose Härte auf die Spitze getrieben, indem er ihnen eine
Frist von nur drei Monaten setzte; wer bis dahin nicht gegangen war, riskierte Bestrafung, Enteignung und Kerker.
Dieses schlechte Beispiel seines höchsten Herrschers weckte im Volk die jahrhundertealte Feindseligkeit gegen uns Juden. Und
man soll nicht etwa glauben, daß wir in Ancona und Rom, wo wir geduldet wurden, vor den Diskriminierungen, Beschimpfungen
und Erniedrigungen, wie wir sie seit jeher unter den Gojim erleiden, sicher waren.
Wer nicht Besitzer seines Wohnhauses war, mußte von einem Tag auf den anderen den doppelten Mietzins zahlen. Das Gelände für
unsere Friedhöfe wurde uns fortan noch knapper zugemessen. |400| Das Recht, unseren Glauben auszuüben, wurde weiter eingeschränkt. Der gelbe Kaftan war Vorschrift, sowie wir das Getto verließen.
Unsere Steuern wurden erhöht. Unsere jüdischen Ärzte – gewiß die besten in Rom – waren in christlichen Häusern nicht zugelassen;
unser Handel wurde auf jede erdenkliche Weise behindert; unsere Streitfälle wurden vor Sondergerichten behandelt, die unweigerlich
unserem Gegner recht gaben, sofern er ein Christ war.
Schikanen waren unser täglich Brot. Die Fleischer weigerten sich, uns Fleisch zu verkaufen, oder gaben uns Schweinefleisch
statt des verlangten Rindfleisches und riefen, wenn wir es zurückwiesen, die Sbirren. Man machte in Rom sogar noch boshafte
Witze darüber: »Was ist der Unterschied zwischen einem jüdischen und einem christlichen Hund?« – »Der jüdische ist fetter,
weil er das ganze Schweinefleisch frißt, das sein Herr zu kaufen gezwungen wird.«
Gregors XIII. war uns nicht besser gesinnt als Pius V., aber da er von Natur aus träge war und alles schleifen ließ, wurden
die uns Juden betreffenden Sondermaßnahmen unter seinem Pontifikat etwas lockerer gehandhabt. Was nun den neuen Papst anbelangt,
so will ich hier berichten, auf welch ungewöhnliche Art ich ihn kennenlernte.
Es ist typisch für die Juden, daß es immer welche gibt, die jüdischer sein wollen als die anderen. Und so beschlossen einige
kurz nach der Thronbesteigung des neuen Papstes, den Talmud zu drucken und zu verbreiten – an sich eine gute Sache; weniger
gut war jedoch, daß dafür die Erlaubnis des Vatikans eingeholt werden mußte …
Ich wies vergebens auf die Unsinnigkeit dieses Unterfangens hin. Wie konnte der Vatikan, der die Ausübung unserer Religion
verboten hatte, die Verbreitung eines unserer heiligen Bücher genehmigen, hatte er doch anläßlich des Rombesuchs von Michel
de Montaigne dessen ganz und gar nicht ketzerische »Essais« beschlagnahmen und zensieren lassen.
Es war alles umsonst. Meine Warnungen fruchteten nichts. Je mehr ich argumentierte, desto mehr erhitzten sich die Eiferer.
Schließlich beschuldigten sie mich geradezu: »Paß auf, Giacobbe, daß dir nicht aus lauter Vorsicht und Feigheit noch dein
jüdischer Glauben abhanden kommt!«
Gegen meinen Willen und ohne mich stellten sie ihren unsinnigen |401| Antrag im Vatikan. Der junge Kardinal Santa Severina nahm ihn entgegen und empörte sich so sehr über die »unglaub liche Kühnheit« der Juden, wie er es nannte, daß er den neuen Papst aufforderte, die Bittsteller der
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