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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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kompetent. Er hat an der Medizinischen Akademie in Salerno
     studiert und das Buch von Ambroise Paré über die Wunden |409| ins Lateinische übersetzt, weil Paré – er war Chirurg – des Lateinischen nicht mächtig war. Die Übersetzung, die Isacco durch
     eigene Beobachtungen ergänzt hat, wird derzeit im ganzen Land benutzt.«
    »Und meint Ihr, Giacobbe, Ihr könntet ihn bewegen, Euch zu begleiten?«
    »Ich denke, ja, Allerheiligster Vater.«
    Auf dem Gesicht des Papstes malte sich Genugtuung. Er machte Rossellino ein Zeichen, wobei ich beobachtete, daß er mit dem
     Monsignore – der stumm, aber nicht taub war – oft in einer Zeichensprache redete, die er, wie mir zu Ohren gekommen war, selbst
     erfunden hatte, damit sein Kämmerer sich ihm verständlich machen könnte. Rossellino nahm sogleich eine kleine silberne Kassette
     vom Tisch und übergab sie mir mit einem gesiegelten Brief, der an die »Duchessa di Bracciano, Palazzo Sforza, Barbarano, Lago
     di Garda« adressiert war. Ich verabschiedete mich und verließ den Vatikan wieder durch die Seitentür; als ich den Brief befühlte,
     merkte ich, daß er den Schlüssel für die Kassette enthielt.
    Meine Söhne, meine Neffen und ich, alles in allem acht Personen, stürzten uns in einige Unkosten, um uns für die Reise auszustaffieren,
     die uns in so würdiger Begleitung zu einem so großen Fürsten führen sollte. Ich mietete auch tüchtige Pferde, in deren Zaumzeug
     wir ein paar gute Sattelpistolen versteckten; sie offen zu tragen, hätte man einem Juden als eine zu große Herausforderung
     ausgelegt. Wir mußten schließlich an unsere Rückkehr ohne die Schweizer denken. Es waren ihrer ein gutes Dutzend, und ihr
     Sergeant übergab mir einen Geleitbrief, der in für mich sehr schmeichelhaften Worten abgefaßt, von Kardinal Rusticucci unterzeichnet
     und mit dem päpstlichen Siegel versehen war. Ich habe diese kostbare Reliquie aufbewahrt, weil ich mir sagte, sie könnte mir
     von Nutzen sein, wenn eines Tages wieder die Verfolgungen einsetzen würden 1 .
    Die guten Schweizer, die uns vierzehn Tage lang begleiteten, hatten ungefähr das Alter meiner Söhne und Neffen, aber sie waren
     bestimmt doppelt so schwer und so breit, ganz zu schweigen von ihrer Körpergröße: lange, starke Kerle, aufgewachsen in der
     guten Luft und mit der guten Milch ihrer |410| Schweizer Berge, von Kindheit an durch schwere Arbeit gestählt, wohingegen wir Juden zusammengepfercht in der lichtlosen Enge
     unseres Stadtgettos aufwachsen, denn es ist uns streng untersagt, auf dem Lande zu leben oder dort gar ein Stück Boden zu
     erwerben. Der Gerechtigkeit halber muß ich jedoch erwähnen, daß in den ausdruckslosen Gesichtern der Schweizer jener Funke
     Scharfsinn fehlte, der aus den Augen meiner Jungen leuchtete.
    Als wir nach Salò kamen, waren wir sehr enttäuscht von der schlechten Sicht; über dem See lag dichter Nebel, und die Wirtin,
     bei der wir unser Mittagsmahl einnahmen, machte uns keine Hoffnung, daß er sich noch heben würde. »Zu dieser Jahreszeit ist
     das normal«, sagte sie, »und das kann einen ganzen Monat andauern.«
    Reist man von Salò nach Barbarano, wird der Raum zwischen dem See und den immer steiler werdenden Bergen allmählich so eng,
     daß nur noch ein schmaler Weg am Ufer entlangführt. Nach einer knappen halben Stunde sahen wir zu unserer Rechten ein Gebäude,
     das wir nach der Beschreibung der Wirtin für den Palazzo Sforza hielten. Da wir uns nicht sicher waren, klopfte ich an die
     Pforte eines Klosters, das auf der anderen Seite des Weges an den Berghang gebaut war. Nur das Guckfenster in der Tür öffnete
     sich, und ein Kapuzinermönch musterte mich mißtrauisch, als hätte er in mir das räudige Schaf gewittert. Doch nachdem ich
     ihm meinen Geleitbrief mit dem päpstlichen Siegel gezeigt hatte, geruhte er mir zu sagen, das Gebäude vor uns sei in der Tat
     der Palazzo Sforza. Durch die Gitterstäbe des Fensters schob ich ihm daraufhin einen Obolus zu – nicht, daß ich die geringste
     Lust dazu verspürte, sondern weil seine Haltung diese Erwartung ausdrückte und auch weil ich, wie mein ganzes Volk, eine unbestimmte
     Furcht vor Priestern empfinde. Zum Dank öffnete er noch einmal seinen schmalen Mund – so schmal wie der Schlitz eines Opferstocks
     in der Kirche –, um mir mitzuteilen, daß Admiral Sforza vor knapp acht Jahren mit dem Bau des Palastes fertig geworden sei.
     Das glaubte ich ihm gern: die Steine waren noch

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