Idol
auszurauben.«
»Reist Ihr oft, Giacobbe?«
»Zweimal im Jahr; zu Beginn des Sommers und zu Weihnachten |407| begebe ich mich in Geschäften nach Brescia, Padua und Venedig.«
»Nach Brescia? Das ist ja interessant.«
Mehr sagte er nicht, und nach einem Blick auf die Uhr entließ er mich.
Als ich im Getto über dieses Gespräch berichtete, fand ich zu meiner Überraschung unsere größten Glaubenseiferer recht abgekühlt
in ihren Gefühlen für den Papst, weil sie beim neuerlichen Studium der Bulle »Christiana Pietas« entdeckt hatten, daß sie
dreimal im Jahr von einem Pfarrer in einer Kirche zusammengerufen werden sollten, um das Wort des Gottes der Christen zu hören.
Einige der hitzigsten Gemüter drängten sogar darauf, einer solchen Vorladung nicht Folge zu leisten. Ich glaubte meinen Ohren
nicht zu trauen.
»Ihr seid unverbesserliche Dummköpfe!« rief ich. »Ihr habt eine seltsame Krankheit: ihr seid niemals zufrieden! Fünfundzwanzig
Jahre lang habt ihr unter zwei schlechten Päpsten schwer gelitten, und jetzt, da ihr einen guten habt, wollt ihr ihm trotzen.
Was kann es euch schon ausmachen, euch in eine christliche Kirche zu setzen und das dumme Gerede eines Pfarrers über Christus
anzuhören? Fürchtet ihr für euer Seelenheil, nur weil ihr euch auf Bänke setzt, die schon Generationen von Gojim abgewetzt
haben? Ist euer jüdischer Hintern mehr wert als ein christlicher? Oder steht euer Glaube an den Gott Israels auf so schwachen
Füßen, daß er in sich zusammenfällt, sobald ein Pfaffe euch von Christus spricht? Werdet ihr nach einer Stunde soweit sein,
Maria und die Heiligen anzubeten? Soll ich euch was sagen? Ihr seid wahrlich die Nachfahren jener ausgemachten Dummköpfe,
die lauthals den Tod Christi gefordert haben! Habt ihr je überlegt, daß heute niemand mehr von diesem sanftmütigen, weltfremden
Schwärmer sprechen würde, wenn er nicht gekreuzigt worden wäre? Und daß wir dann nicht als Gottesmörder behandelt würden?«
Es gab ein schönes Spektakel nach diesen Worten! Christus hatte den Tod verdient, weil er das Gesetz Mosis angegriffen hatte,
das er angeblich verteidigte, schrien einige. Das verschlug mir die Sprache. Ihre Rachsucht war grenzenlos! Anderthalb Jahrtausende
nach Christi Tod verübelten sie ihm noch immer seine Lehre!
Glücklicherweise ergriff nun der alte Rabbi Simone das |408| Wort, pflichtete mir bei und sagte, daß diejenigen, welche der Aufforderung des Pfarrers nicht nachkämen, die jüdische Gemeinde
in Rom schwer gefährdeten. Sein Gesicht war schrumpliger als ein alter Apfel, er sprach mit leiser und zittriger Stimme, doch
seine funkelnden schwarzen Augen waren jung geblieben. Als er geendet hatte, wagte keiner mehr, den Mund aufzumachen.
Eine Woche nach dieser Debatte, deren heftige Töne noch in meinen Ohren dröhnten, bestellte mich der Papst in den Vatikan.
Ich trat durch die nämliche Seitentür ein und traf Sixtus V. wieder in demselben Raum, auf einem Sessel sitzend, ein Tischchen
zu seiner Linken und zu seiner Rechten denselben stummen, bewegungslosen Monsignore, von dem ich inzwischen wußte, daß er
Rossellino hieß. Sixtus V. kürzte wie üblich das Begrüßungszeremoniell ab.
»Giacobbe«, sagte er schnell und deutlich zu mir, »wann gedenkt Ihr, in diesem Jahr gen Norden zu reisen?«
»In zwei Wochen, Allerheiligster Vater.«
»Wenn Ihr Eure Reise um eine Woche vorzieht, könnten wir Euch eine Eskorte geben aus einem Dutzend unserer Schweizer, die
zum Jahresurlaub in ihre Berge ziehen, und Euch bei dieser Gelegenheit einen persönlichen Auftrag anvertrauen.«
»Ich wäre sehr froh über die Eskorte und sehr geehrt durch den Auftrag, Allerheiligster Vater«, sagte ich mit einer Verbeugung.
»Unser Auftrag wird Euch nicht zu weit von Brescia entfernen, wohin Ihr Euch, wenn ich mich recht entsinne, in Geschäften
begeben wollt. Es geht darum, der Herzogin von Bracciano, die sich derzeit am Gardasee aufhält, diese Kassette hier und einen
Brief von mir zu überbringen. Könntet Ihr auch einen jüdischen Arzt mit Euch nehmen, der sich mit Wunden auskennt?«
»Mit Schußwunden, Allerheiligster Vater?«
»Nein, mit Pfeilwunden. Doch ich vermute, daß das keinen großen Unterschied macht. Die Wunde, die dem Herzog von Bracciano
vor sehr langer Zeit zugefügt worden ist, hat sich in letzter Zeit verschlimmert, wie ich erfahren habe.«
»Ein Freund von mir, Doktor Isacco, ist auf diesem Gebiet sehr
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