Idol
im Konklave völlig von der Außenwelt abgeschnitten (selbst ihre Speisen,
die man ihnen durch einen kleinen Schalter reicht, werden vorher auf geheime Botschaften untersucht). Wer aber wäre naiv genug
zu glauben, die Fürsten hätten keinen Einfluß auf die Abstimmung? Wer wüßte nicht, daß bei einer früheren Papstwahl der immer
noch herrschsüchtige Philipp II. von Spanien den siebzig Kardinälen nur fünf ihm genehme
papabile
zur Auswahl gelassen hatte, während die übrigen fünfundsechzig Prälaten von vornherein nicht für den Heiligen Stuhl in Frage
kamen?
Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano, für den 19. März zu fünf Uhr bei Seiner Eminenz angesagt, war zwar mitnichten
so mächtig wie der König von Spanien, doch er gehörte einer einflußreichen italienischen Familie an. Durch seine Frau Isabella
war er verwandt mit Francesco di Medici, dem Großherzog von Toskana, dessen Bruder den Kardinalspurpur trug und großen Einfluß
auf das Konklave hatte. Bracciano war aber nicht nur reich durch Geburt und seine Verbindungen, er hatte auch wahre Wundertaten
in der Schlacht von Lepanto vollbracht, in der die Flotte des Großtürken durch die vereinigte Flotte der christlichen Staaten
vernichtet worden war. Von Venedig daraufhin mit dem Kommando über seine Galeeren betraut, hatte der Fürst sich seit fünf
Jahren großen Ruhm bei der Jagd auf berberische Piraten erworben.
Dieser große Kriegsheld war zudem ein Mann von Geschmack und Kultur, aufgeschlossen, kunstliebend und wißbegierig; er förderte
die Poeten und suchte die Gesellschaft gebildeter Leute wie Seine Eminenz. Er war ein stattlicher Mann – seine kräftige Statur
ließ ihn kleiner erscheinen, als er eigentlich war –, hatte blaue Augen, blondes, ins Rötliche spielendes Haar, regelmäßige
Gesichtszüge, einen runden festen Hals und die gebräunte Hautfarbe des Seemanns. Seit ihn vor |74| Lepanto ein Pfeil am Oberschenkel verwundet hatte, hinkte er leicht, was er durch besonders große Schritte zu überspielen
versuchte; dadurch bekam sein Gang eine gewisse Aggressivität, die aber durch den sensiblen Ausdruck seines Mundes wettgemacht
wurde.
In allem hatte Bracciano Glück gehabt, nur nicht in seiner Ehe. Seiner langen Abwesenheiten müde, hatte sich seine Frau Isabella
in eine Affäre mit einem Verwandten ihres Mannes eingelassen, mit Troilo Orsini, der, als erster über seinen Verrat erschrocken,
nach Paris geflohen war, wo er sich vor der Vendetta von Bruder und Ehemann sicher glaubte. Ein Jahr später traf ihn dort
die Kugel eines von Francesco di Medici gedungenen Schützen, ohne ihn allerdings zu töten; so konnte ihm der Vollstrecker
der Hinrichtung, bevor er ihm den Gnadenstoß gab, noch sagen, wer ihn gesandt hatte.
Durch Isabellas Ehebruch hatten nach dem Verständnis der Zeit Francesco di Medici und Bracciano das Gesicht verloren. Darum
mußte auch Isabella sterben. Dieses ungeschriebene Gesetz, so barbarisch es war, wurde im ganzen Land so widerspruchslos akzeptiert,
daß Gregor XIII., als man ihm die Hinrichtung Troilo Orsinis meldete, ganz natürlich, als ob sich die Sache von selbst verstünde,
fragte:
»Und was geschah mit der Herzogin?«
Erstaunlicherweise war mit ihr nichts geschehen. Seit fünf Jahren war sie in der Burg von Bracciano eingeschlossen und wartete
auf den Tod, aber der Tod kam nicht, weil ihr Mann sich nicht entschließen konnte, sie zu töten. Er hatte sie geliebt. Sie
hatte ihm einen Sohn geboren: Virginio. Im übrigen stand diesem Krieger der Sinn nicht nach Blut, schon gar nicht nach dem
Blut einer Frau, das, wie er wohl ahnte, seinen Ruhm nicht vermehren würde, selbst wenn die Sitte die Hinrichtung einer Ehebrecherin
entschuldigte, ja sogar verlangte. Ist es nicht seltsam, daß gerade in einem solchen Fall die Aufforderung unseres Heilands
zur Vergebung – »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!« – weder vom Volk noch von den Fürsten
gehört wird? Ich wage die Frage: Ist etwa unser Christentum im täglichen Leben nur Lippenbekenntnis?
Um auf den 19. März zurückzukommen – als ich sah, daß die Uhr auf meinem Schreibtisch fünf Minuten vor fünf Uhr zeigte, |75| schrieb ich auf ein Stück Papier: »Es ist Zeit, Euer Eminenz«, erhob mich und legte es in die Hände des Kardinals, wohlgemerkt:
in die Hände und nicht auf die Knie, wie er später behauptete. Ich kehrte an meinen Platz zurück
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