Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
den Knien gelegen, als würde er beten. Aber nein, der da lebt: Atemluft beschlägt Fontaines Fenster.
In Fontaines linker Hand: eine 1947er-Cortébert Vollkalender-Mondphase, Handaufzug, Gehäuse goldfilled, fast noch in dem Zustand, in dem sie das Werk verlassen hat. In seiner rechten eine verzogene rote Plastiktasse mit schwarzem kubanischem Kaffee. Der Geruch von Fontaines Kaffee erfüllt den Laden, so scharf geröstet und bitter, wie er ihn mag.
Kondensnebel pulsiert langsam am kalten Glas: Graue Aureolen umgeben die Nasenlöcher des Knienden.
Fontaine legt die Cortébert ins Auslagekästchen zu seinen übrigen besseren Objekten zurück; in schmalen Fächern aus verschossenem grünem Velours liegen ein Dutzend Armbanduhren. Er stellt das Auslagekästchen auf den Tresen, hinter dem er steht, wenn er Geschäfte macht, nimmt die rote Plastiktasse in die linke Hand und vergewissert sich mit der rechten, dass die Smith & Wesson .22er-/.32er-Kit Gun in der rechten Seitentasche des fadenscheinigen Trenchcoats steckt, der ihm als Morgenmantel dient.
Ja, da ist sie, die kleine Waffe, älter als so manche seiner besseren Uhren. Ihr abgenutzter Walnussgriff wirkt beruhigend und vertraut. Die Kit Gun, einen sechsschüssigen Randfeuer-Revolver mit vierzölligem Lauf – wahrscheinlich für den Angelkoffer eines Süßwasseranglers gedacht, um Wasserschlangen zu erledigen oder leere Bierflaschen zu köpfen – Fontaine hat sie mit Bedacht gewählt. Er will niemanden umbringen, obwohl er das, um die Wahrheit zu sagen, schon getan hat und es sehr wahrscheinlich wieder tun könnte. Er mag es nicht, wenn eine Faustfeuerwaffe einen Rückstoß hat und übermäßig laut ist, und er misstraut halbautomatischen Waffen. Er ist ein Anachronist, ein Historiker: Er weiß, dass der Rahmen der Smith & Wesson für eine längst ausgestorbene .32er-Kaliber-Zentralfeuer-Patrone entwickelt worden ist, die ehemalige Standardmunition für amerikanische Taschenpistolen. Mit einer neuen Trommel für den schlichten .22er hat er in diesem Modell bis Mitte
des 20. Jahrhunderts überlebt. Ein praktisches Ding, und wie die meisten seiner Artikel eine Rarität.
Er trinkt den Kaffee aus, stellt die leere Tasse auf den Tresen neben das Auslagekästchen mit den Armbanduhren.
Fontaine ist ein guter Schütze. In der archaischen einhändigen Stellung eines Duellanten hat er schon auf zwölf Schritt Entfernung die Augen aus einer Spielkarte geschossen.
Er zögert, bevor er die Tür des Ladens aufschließt, ein komplizierter Prozess. Vielleicht ist der Kniende nicht allein. Auf der Brücke selbst hat Fontaine wenige Feinde, aber wer weiß schon, was von den beiden Enden, San Francisco oder Oakland, hereingeschneit sein mag? Und die Ödnis von Treasure Island hat schon seit jeher eine noch barbarischere Form des Wahnsinns zu bieten.
Aber trotzdem.
Er legt den letzten Riegel um und zieht den Revolver.
Sonnenlicht fällt wie ein seltsamer Segen durch die aus Holz- und Plastikschrott bestehende Verkleidung der Brücke. Fontaine riecht die Salzluft, eine Quelle der Korrosion.
»Sie da«, sagt er, »Mister.« Die Waffe in der Hand, in den Falten des Trenchcoats verborgen.
Unter dem gürtellosen, offenen Trenchcoat trägt Fontaine eine ausgeblichene Pyjamahose aus Flanell und ein langärmeliges weißes Thermounterhemd, das sich durch die Launen des Waschvorgangs ekrü verfärbt hat. Seine nackten Füße stecken in schwarzen, nicht zugebundenen Schuhen, deren Glanz in den tieferen Falten matt geworden ist.
Dunkle Augen blicken aus einem Gesicht zu ihm auf, dem irgendwie etwas Verschwommenes anhaftet.
»Was machst du hier?«
Der Junge legt den Kopf schief, als würde er auf etwas horchen, was Fontaine nicht hören kann.
»Weg da von meinem Fenster.«
Mit einem merkwürdigen, vollständigen Mangel an Anmut, der auf Fontaine schon wieder wie eine ganz eigene Form der Anmut wirkt, erhebt sich die Gestalt. Die braunen Augen starren Fontaine an, sehen ihn aber irgendwie nicht oder erkennen ihn vielleicht nicht als ein anderes Lebewesen.
Fontaine zeigt die Smith & Wesson, den Finger am Abzug, richtet sie jedoch nicht direkt auf den Jungen. Er richtet nie eine Waffe auf jemanden, wenn er noch nicht ganz bereit ist, ihn niederzuschießen; das hat er vor langer Zeit von seinem Vater gelernt.
Dieser Kniende, der ihm da an die Scheibe geatmet hat, ist nicht von der Brücke. Es würde Fontaine schwerfallen zu erklären, woher er das weiß, aber er weiß es. Das
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