Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
auf dem Schoß. Fontaine sieht einen großen, sehr komplizierten Chronometer auf dem Bildschirm. Ein Stück aus den Achtzigern, dem Aussehen nach zu urteilen.
»Willst du Miso?«
»Zenith«, sagt der Junge. »El Primero. Gehäuse aus Edelstahl. Einunddreißig Steine, Uhrwerk 3019PHC. Schweres Edelstahlarmband mit Faltschließe. Originale Schraubkrone. Krone, Zifferblatt und Werk mit Signatur.«
Fontaine starrt ihn an.
13 MITTELBARES TAGESLICHT
Yamasaki kommt mit Antibiotika, abgepackten Lebensmitteln und Kaffee in Selbstwärmedosen zurück. Er trägt eine schwarze Fliegerjacke aus Nylon und transportiert die ganzen Sachen zusammen mit seinem Notebook in einem blauen Einkaufsnetz.
Die abendliche Rushhour ist noch ein paar Stunden entfernt, und so ist die Menschenmenge, durch die er in die Station hinabsteigt, nicht übermäßig dicht. Er hat nur schwer einschlafen können; das perfekte Gesicht von Rei Toei, die in gewissem Sinn seine Arbeitgeberin ist und in einem anderen nicht existiert, hat ihn bis in seine Träume verfolgt.
Sie ist eine Stimme, ein Gesicht, das Millionen vertraut ist. Sie ist ein Codemeer, der höchste Ausdruck von Unterhaltungssoftware. Ihr Publikum weiß, dass sie nicht unter den Menschen wandelt, dass sie ein Mediengebilde in Reinkultur ist. Und das macht einen Großteil ihrer Anziehungskraft aus.
Wenn es Rei Toei nicht gäbe, überlegt Yamasaki, wäre Laney jetzt nicht hier. Der Versuch, sie zu verstehen, ihre Motive zu ergründen, hatte ihn ursprünglich nach Tokio geführt – im Dienst von Rez’ Management-Team, nachdem der Sänger Rez bekanntgegeben hatte, dass er sie heiraten wolle. Und wie, fragten sie, sollte das gehen? Wie konnte ein Mensch, selbst ein so gründlich medialisierter wie er, ein Konstrukt heiraten, ein Software-Konglomerat, einen Traum?
Doch Rez, der chinesisch-irische Sänger, der Popstar, hatte es versucht. Yamasaki weiß das. Er weiß mehr darüber als
jeder andere echte Mensch, einschließlich Rez, weil Rei Toei mit ihm darüber gesprochen hat. Ihm ist klar, dass Rez im Reich des Digitalen so umfassend existiert, wie das für einen echten Menschen nur möglich ist. Wenn Rezder-Mensch heute sterben sollte, würde Rez-die-Ikone mit Sicherheit weiterleben. Aber Rez sehnte sich danach, dorthin zu gehen, buchstäblich dorthin zu gehen, wo Rei Toei ist. Oder war, da sie nun ja offenkundig verschwunden ist.
Der Sänger hatte in einem Reich des Digitalen oder in einem noch nicht einmal in der Vorstellung existierenden Grenzland mit ihr zusammen sein wollen. Es jedoch nicht geschafft.
Aber ist sie nun dorthin gegangen? Und warum ist Laney ebenfalls geflohen?
Rez tourt gerade durch die Kombinat-Staaten. Er besteht darauf, mit der Bahn zu fahren. Station um Station, Endziel Moskau, aufflackernde Gerüchte über Wahnsinn im Kielwasser der Band.
Ein düsteres Geschäft, denkt Yamasaki, während er die Treppe zur Pappkartonstadt hinuntergeht, und er fragt sich, was genau Laney nun eigentlich hier will. Er spricht von Knotenpunkten in der Geschichte, von einem sich herausbildenden Muster in der Struktur der Dinge. Davon, dass sich alles verändert.
Laney ist ein netter Kerl, ein Mutant, das Zufallsprodukt geheimer klinischer Versuche mit einer Droge, die einem kleinen Prozentsatz der Versuchspersonen etwas verliehen haben, was auf merkwürdige Weise medialen Fähigkeiten ähnelt. Aber Laney ist nicht medial begabt im irrationalen Sinn; vielmehr kann er dank der organischen Veränderungen, die vor langer Zeit vom 5-SB — dieser Droge – ausgelöst worden sind auf irgendeine Weise Veränderungen wahrnehmen, die sich in ungeheuren Datenströmen abzeichnen.
Und nun ist Rei Toei fort, behauptet ihr Management, aber wie kann das sein? Yamasaki argwöhnt, dass Laney vielleicht weiß, warum sie fort ist oder wo sie sich befindet, und nicht zuletzt deshalb hat Yamasaki beschlossen, hierher zurückzukommen und ihn aufzusuchen. Er hat alles Erdenkliche getan, um nicht verfolgt zu werden, aber er weiß auch, dass das so gut wie gar nichts besagt.
Der Geruch der Tokioter U-Bahn, so vertraut wie der Geruch der Wohnung seiner Mutter, beruhigt ihn jetzt. Es ist ein absolut charakteristischer und zugleich unmöglich zu beschreibender Geruch. Es ist der Geruch des japanischen Teils der Menschheit, dem er sich sehr stark zugehörig fühlt, manifestiert in dieser einzigartigen Umgebung, dieser Welt der Tunnels, der weißen Korridore und wispernden Silberzüge.
Er findet den Gang
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