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Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Titel: Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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aus dem Jugendheim bei Beaverton abgehauen war, aber das war eine total beschissene Nacht gewesen. Die Narben an ihren beiden Händen waren der Beweis.
    Glücklich war sie auch in der Nacht gewesen, als sie zum ersten Mal auf die Brücke hinausgegangen war, auf der unteren Ebene, mit weichen Knien von einem Fieber, das sie sich auf dem Weg entlang der Küste hinunter geholt hatte. Alles tat ihr weh: die Lichter, jede Farbe, jedes Geräusch; ihr Geist drückte in die Welt hinaus wie ein geschwollenes Gespenst. Sie erinnerte sich an die lose herunterhängende Sohle ihres Turnschuhs, die über die von Abfall übersäte Ebene schleifte, und daran, wie weh ihr das getan hatte und dass sie sich schließlich hatte hinsetzen müssen, weil sich alles um sie herum drehte, und an den Koreaner, der aus seinem kleinen Laden gerannt kam und auf sie einschrie, steh auf, steh auf, nicht hier, nicht hier. Und Nicht Hier war ihr wie eine derart grandiose Idee erschienen, dass sie sich schnurstracks woandershin begeben hatte, indem sie hintenüberkippte und nicht mal spürte, wie ihr Schädel aufs Pflaster knallte.
    Und dort hatte Skinner sie gefunden, obwohl er sich nicht dran erinnerte oder vielleicht auch nur nicht drüber reden wollte; sie war sich nicht ganz sicher. Sie glaubte nicht, dass er sie allein zu seiner Bude hinaufgebracht haben konnte; er brauchte selber Hilfe, um dort hinaufzukommen, mit seiner Hüfte und so. Aber es gab trotzdem Tage, an denen er einen plötzlichen Energieschub bekam und man sehen konnte, wie stark er früher einmal gewesen sein musste, und dann tat er Dinge, die man ihm überhaupt nicht zutraute. Deshalb war sie nicht ganz sicher.
    Das Erste, was sie gesehen hatte, als sie die Augen aufschlug, war das runde Kirchenfenster mit den Stofffetzen
in den Lücken und die Sonne gewesen, die hindurchschien – kleine Farbpunkte und -kleckse, die sie noch nie gesehen hatte, alles schwamm vor ihren fiebrigen Augen wie Insekten im Wasser. Dann die Knochenbrecherzeit, in der das Virus sie auswrang wie der alte Mann das Handtuch, das er ihr um den Kopf gelegt hatte. Als das Fieber nachließ und langsam abzog – hundert Meilen weit, wie es ihr vorkam, dorthin zurück und über den Rand der Krankheit hinaus –, fielen ihr die Haare in trockenen Büscheln aus, die an den feuchten Handtüchern kleben blieben wie die schmutzigen Reste einer Matratzenfüllung.
    Als sie nachwuchsen, waren sie dunkler, fast schwarz, so dass sie sich hinterher wie ein ganz anderer Mensch fühlte. Oder endlich wie sie selbst, dachte sie.
    Und sie war bei Skinner geblieben, hatte getan, was er sagte, um sie beide zu ernähren und seine Bude in Ordnung zu halten. Er schickte sie mit allem möglichen Kram auf die untere Ebene hinunter, wo die Trödler ihr Zeug ausbreiteten: mit einem Schraubenschlüssel, auf dem BMW stand, einer auseinanderfallenden Pappschachtel mit diesen flachen, schwarzen Dingern, die man früher mal abgespielt hatte, wenn man Musik hören wollte, einer Tüte voller Dinosaurier aus Plastik. Sie konnte sich nie vorstellen, dass irgendwas davon etwas wert war, aber irgendwie war das immer der Fall. Der Schraubenschlüssel brachte so viel, dass sie eine Woche zu essen hatten, und zwei von den runden Dingern brachten noch mehr. Skinner wusste, woher alte Sachen kamen und wozu sie gut gewesen waren, und er konnte abschätzen, ob jemand sie haben wollte. Zuerst machte sie sich Sorgen, dass sie nicht genug für die Sachen kriegen würde, die sie verkaufte, aber das schien ihn nicht weiter zu interessieren. Wenn etwas nicht ging, wie die Plastikdinos, wanderte es einfach wieder ins Lager, wie er den Kram nannte, der sich am Fuß aller vier Wände stapelte.

    Als sie wieder zu Kräften gekommen war und ihre neuen Haare nachgewachsen waren, begann sie, ihre Streifzüge von der Bude auf dem Turm aus weiter auszudehnen. Anfangs wagte sie sich noch nicht in eine der beiden Städte, obwohl sie ein paarmal Richtung Oakland gegangen war, auf den Ausleger hinaus, und zur Stadt hinübergeschaut hatte. Da drüben schien ihr alles anders zu sein, obwohl sie nicht so recht wusste, woran das lag. Am besten gefiel es ihr jedoch auf der Hängebrücke, wenn sie so richtig mittendrin war — all die Menschen, die herumhingen, hin und her eilten und ihren Geschäften nachgingen, und wie das ganze Gebilde jeden Tag ein bisschen wuchs und sich ein bisschen veränderte. Es gab nichts, was dem gleichkam, nicht dass sie wüsste, jedenfalls nicht in

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