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Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Fingerhüte, biegsame Fingergeflechte; immer sachte … jeden einzelnen einstecken. Rein, und rein …
    Die Blonde sagte irgendwas im Schlaf. Falls man es Schlaf nennen konnte.
    Chia nahm ihre Brille, setzte sie auf und drückte auf das große Rot.
    - Nichts wie weg hier.
    -42—
    Und weg war sie.
    Sie saß auf dem Rand ihres Bettes und schaute auf das Poster von Lo Rez Skyline. Bis Lo es bemerkte. Er strich sich über seinen kümmerlichen Schnurrbart und grinste sie an.
    »Hey, Chia.«
    »Hey.« Sie sprach aus Erfahrung stimmlos. Schließlich war das privat.
    »Was liegt denn an, Kleine?«
    »Ich bin in einem Flugzeug. Auf dem Weg nach Japan.«
    »Japan? Stark. Kennst du unsere Budokan-Scheibe?«
    »Ich hab keine Lust, mich zu unterhalten, Lo.« Jedenfalls nicht mit einem Software-Agenten, so süß er auch sein mochte.
    »Immer locker bleiben.« Er warf ihr sein katzenhaftes Grinsen zu, wobei sich seine Augen in den Winkeln fältelten, und erstarrte zum Standbild. Chia schaute sich mit einem Gefühl der Enttäuschung um. Die Dinge hatten irgendwie nicht die richtigen Dimensionen. Vielleicht hätte sie auch diese Fraktalpakete benutzen sollen, die für ein bißchen Unordnung sorgten, Staub in den Ecken und Schmutzflecken um den Lichtschalter herum plazierten. Zona Rosa schwor darauf.
    Wenn sie zu Hause war, fand Chia es gut, daß die Konstruktion immer sauberer war als ihr Zimmer. Jetzt bekam sie Heimweh davon; sie vermißte ihr echtes Zuhause.
    Sie machte eine Geste zum Wohnzimmer hin und bewegte sich an der imaginären Tür zum Zimmer ihrer Mutter vorbei.
    Hier war alles nur als Drahtgittermodell vorhanden, und da gab es kein Dort, kein räumliches Innenleben. Das Wohnzimmer war teilweise auch nur skizzenhaft, mit Möbeln drin, die sie aus einem Playmobil-System importiert hatte, dem Vorläufer ihres Sandbenders. Wacklig geränderte Fische schwammen stumpfsinnig in einem gläsernen Couchtisch rum, den sie mit neun Jahren gebaut hatte. Die Bäume vor dem Fenster zur -43—
    Straße waren noch älter: völlig zylindrische, buntstiftbraune Stämme, die alle einen giftgrünen Wattebausch aus undifferenziertem Blattwerk trugen. Wenn sie die Bäume lange genug anschaute, würde draußen der Mumphalumphagus erscheinen und spielen wollen; deshalb ließ sie es bleiben.
    Sie setzte sich auf das Playmobil-Sofa und schaute sich die auf dem Couchtisch verstreuten Programme an. Die System-Software des Sandbenders war eine Art Feldflasche (sie hatte ›Was ist was?‹ zu Rate ziehen müssen, ihr Icon-Wörterbuch, um das rauszufinden), die wie ein altmodischer Wasserbeutel aus Segeltuch aussah. Er war abgenutzt und unglaublich organisch, und aus dem dichten Gewebe traten winzige Wassertropfen aus. Wenn man ganz nah ranging, sah man Dinge, die sich in den einzelnen Tröpfchen spiegelten: Schaltungsbauteile, die Ähnlichkeit mit einer Perlenstickerei oder der Haut am Hals einer Echse hatten, einen langen, leeren Strand unter einem grauen Himmel, Berge im Regen, das Wasser eines Bachs, das über verschiedenfarbige Steine plätscherte. Sie stand auf Sandbenders; das waren die besten.
    THE SANDBENDERS, OREGON, war kaum sichtbar auf das schwitzende Segeltuch projiziert, als ob es unter einer Wüstensonne nahezu ausgebleicht worden wäre. SYSTEM 5.9.
    (Sie besaß sämtliche Upgrades bis 6.3.; 6.4. war angeblich virenverseucht.)
    Neben dem Wasserbeutel lagen ihre Schulsachen, repräsentiert von einem Ringheft (drei Ringe), das unter der Schmach künstlicher Bitfäule litt und dessen Drahtgitterumschlag von digitalem Modder angefressen war.
    Das würde sie neu formatieren müssen, bevor sie auf die neue Schule ging, ermahnte sie sich. Zu kindisch.
    Ihre Lo/Rez-Sammlung – Alben, Best-of—
    Zusammenstellungen und Raubkopien – war als Disks in ihren ursprünglichen Hüllen dargestellt. Sie waren so beiläufig wie möglich neben dem Archivmaterial übereinandergestapelt, das -44—
    sie seit ihrer Aufnahme in die Ortsgruppe Seattle gesammelt hatte. Dank eines zufälligen Dateientauschs mit einem Mitglied in Schweden sah es wie eine bunt bedruckte Lunchbox aus Blech aus; Lo und Rez blickten erstaunt und ein bißchen verschwommen von ihrem flachen, rechteckigen Deckel. Der schwedische Fan hatte das Bildmaterial der fünf bedruckten Flächen des Originals eingescannt und auf ein Drahtgittermodell gelegt. Das Original war wahrscheinlich nepalesisch und garantiert illegal, und Chia mochte dieses umgekehrte Gütesiegel besonders. Zona Rosa war

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