Idoru
gefliesten Wand und einem großen Selbstbedienungsautomaten gebildet wurde. »Im Restaurant wartet jemand auf dich.« Er schaute auf ihr Handgelenk hinunter, merkte zu seiner offenkundigen Verblüffung, daß er es festhielt, und ließ sie sofort los.
»Woher weißt du das?«
-181-
»Ummauerte Stadt. In der letzten Stunde hat es Anfragen gegeben.«
»Von wem?«
»Russen.«
»Russen?«
»Seit dem Erdbeben sind viele vom Kombinat hier. Sie schmieden Beziehungen zur Gumi.«
»Was ist die Gumi?«
»Ihr sagt dazu Mafia. Yakuza. Mein Vater hat Vereinbarung mit hiesiger Gumi. Ist notwendig, um ein Restaurant zu betreiben. Gumi-Leute haben mit meinem Vater über dich gesprochen.«
»In deinem Viertel ist die Russenmafia?« Hinter ihrem Kopf, an der Seite des Automaten, das animierte Logo von etwas namens Apple Shires.
»Nein. Yamaguchi-gumi-Zweig. Mein Vater kennt diese Männer. Sie sagen meinem Vater, Russen fragen nach dir, und das ist nicht gut. Sie können nicht übliche Sicherheit garantieren. Russen nicht zuverlässig.«
»Ich kenne keine Russen«, sagte Chia.
»Wir gehen jetzt.«
»Wohin?«
Er ging über den belebten Bahnsteig voran, dessen Pflaster von Hunderten zusammengerollter Regenschirme naß war.
Offenbar regnete es jetzt, dachte sie. Zu einer Rolltreppe.
»Als die Ummauerte Stadt sah, daß jemand sich für unsere Adressen interessierte, die von meiner Schwester und mir, wurde ein Freund geschickt, um meinen Computer abzuholen …«
»Warum?«
»Weil ich Verantwortung habe. Für die Ummauerte Stadt.
-182—
Verteilte Verarbeitung.«
»Du hast eine MUD in deinem Computer?«
»Ummauerte Stadt ist nirgendwo«, sagte er, als sie auf die Rolltreppe traten. »Mein Freund hat meinen Computer. Und er weiß über Männer Bescheid, die auf dich warten.«
Masahiko sagte, sein Freund heiße Gomi Boy.
Er war sehr klein und trug eine riesige, wattierte Arbeitshose mit gewaltigem Schlag und mindestens einem Dutzend Taschen. Sie wurde von sieben Zentimeter breiten Hosenträgern in leuchtendem Orange gehalten, die über einem verlotterten Baumwoll-Sweater mit hochgerollten Ärmeln lagen. Seine Schuhe waren pink und sahen wie Schuhe aus, die Babys trugen, nur größer. Er thronte jetzt auf einem eckigen Aluminiumstuhl und kam mit den Babyschuhen nicht ganz bis zum Boden. Sein Haar sah aus, als wäre es mit einem Spachtel geformt worden, glänzende Wirbel und Dellen, als könnte man mit der Hand klebenbleiben, wenn man es anfaßte. So sah auch J. D. Shapelys Haar auf den Wandbildern am Pioneer Square aus, und Chia wußte aus der Schule, daß es was mit dem ganzen Elvis-Kram zu tun hatte, aber sie konnte sich nicht entsinnen, was genau.
Er unterhielt sich mit Masahiko auf Japanisch, über die donnernde Brandung der Spielhallengeräusche hinweg. Chia wünschte, sie hätte einen Translator auf, aber dazu würde sie die Tasche aufmachen, einen suchen und den Sandbenders einschalten müssen. Und Gomi Boy sah aus, als wäre er ganz froh darüber, daß sie ihn nicht verstehen konnte.
Er trank etwas namens Pocari Sweat aus einer Dose und rauchte eine Zigarette. Chia beobachtete, wie sich der blaue Rauch schichtweise in der Luft absetzte, erhellt von dem grellen Licht der Spiele. Davon konnte man Krebs kriegen, und in Seattle würde man verhaftet werden, wenn man so was -183—machte. Gomi Boys Zigarette sah wie ein Fabrikprodukt aus: eine perfekte weiße Röhre mit braunem Ende, das er an die Lippen führte. Solche Dinger hatte Chia manchmal in alten Filmen gesehen, aus denen sie noch nicht digital gelöscht worden waren, aber ansonsten hatte sie nur die krummen und schiefen aus Papier zu Gesicht bekommen, die in den Straßen von Seattle verkauft wurden. Man konnte aber auch einen kleinen Beutel Tabak und das weiße, rechteckige Papier kriegen, in das man ihn einrollte. Wie es die Netzkappen in der Schule machten.
Es regnete noch immer in Strömen. Durch das triefende Fenster der Spielhalle konnte sie eine weitere Spielhalle auf der anderen Straßenseite sehen, eine mit den Geräten, in denen die silbernen Kugeln herumschossen. Das Neonlicht, der Regen und die silbernen Kugeln verschmolzen miteinander, und sie fragte sich, worüber Masahiko und Gomi Boy redeten.
Gomi Boy hatte Masahikos Computer in einem buntkarierten Einkaufsbeutel aus Kunststoff, auf den pinkfarbene internationale Biorisiko-Symbole aufgenäht waren. Er stand auf dem kleinen Tisch neben der Pocari-Sweat-Dose. Was war ein Pocari? Sie
Weitere Kostenlose Bücher