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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Hotelzimmer bleiben und nicht in das andere Zimmer zurückkehren, in das mit der breiten weißen Tür.
    Und er steht schon dort und winkt. Wozu denn? denkt er und geht weg und geht trinken und geht schlafen und kommt am nächsten Morgen wieder. Da wartet Professor Schaller an der breiten weißen Tür, hinter ihm stehen Schwester Magdalena und Dr. Bilgri, und der Professor sagt: Grüßiherrflies. Und Flies weiß alles, sofort. Drecksau! sagt er. Und der Professor ruckt mit dem Kopf, dabei hat Flies ihn gar nicht gemeint. Und er redet – mit gezügelter Stimme, das schafft er – schon weiter auf dem Weg ins Zimmer: Das ist so arm, wie du das Verrecken inszenierst, so arm, so arm. Von der Tür aus, denkt er dann, sieht sie eigentlich sehr still aus. Maßloser Irrglaube! Das tobt doch alles in ihr nach, stimmt’s, Kati, stimmt’s? Und er stellt sich neben das Bett und sieht auf Katalin hinunter, der die weiße Decke bis zum Kinn reicht, und erkennt ihr Gesicht nicht wieder. Ist die falsche! sagt er zu Bilgri, der sich hinter ihn geschlichen hat. Er weint nicht. Das hat er von der Pike auf gelernt: Das Zeug bleibt drin im Angesicht des Todfeinds. Bist du das, Katalin? fragt er, ich geb dir einen Kuß zurück, den einen, den letzten vor deinem letzten Lachen. Nimm sie, Drecksau! schreit er. Und der Professor an der Tür: Bitte?
    Flies geht an ihm vorbei, den Flur entlang, zur Tür mit der Milchglasscheibe, die Treppe hinauf, an der Cafeteria vorbei. Er fährt die Rolltreppe hinunter ins Parterre und stellt sich draußen neben den asphaltierten Weg in die Wiese, öffnet den Reißverschluß seiner Hose und brunzt den Goldregenstrauch an. Mit ungewaschenen Händen kehrt er ins Klinikum zurück, drückt Professor Schaller fest die Hand und dankt ihm für seinen Einsatz. Und dann wollen alle auf der Station seine Hand, ein Karneval der Bazillen, Katalin zu Ehren, die verrecken hat müssen, obwohl ihr Trostfruchtbaum bis in den Himmel reichte.
    »Woran denkst du, Sebastian?« fragte Ines.
    »Leg dich neben mich«, sagte Flies.
    Sie trug ein blaues T-Shirt, das ihm gehörte, und ihre graue Schlafanzughose. Sie streckte sich neben ihm aus, und er roch ihren Schweiß und dachte, daß sie unter dem Hemd und der Hose nichts anhatte, und er wollte aufhören, daran zu denken, aber es gelang ihm nicht.
    Er schnellte herum und sah Katalin da liegen. Und dann erst Ines. Und dann wieder Katalin. Ines hatte die Arme nach hinten gestreckt und umklammerte das Bettgestell. Er starrte sie an. Er wollte ihr ins Gesicht schlagen und ihre Keuschheit ein für allemal beenden. Sie spreizte sogar die Beine, das sah er genau oder bildete es sich ein. Und das durfte er nicht. Er sprang aus dem Bett, holte die angebrochene Wodkaflasche aus dem Kühlschrank und trank gierig. Und Ines wollte auch trinken. Dann tranken sie beide und fingen an zu streiten, aber worüber, das hatte er vergessen, als sie plötzlich zuschlug. Vielleicht hatte er den Psalm nicht hören wollen und sie aufgefordert, den Mund zu halten. Sie hatten die Flasche leer getrunken, dann schlug sie zu. Und er schlug zurück. Und dann hockte sie sich auf ihn, und er packte sie an der Schulter und schleuderte sie auf den Boden.
    Einen Tag später, da draußen am See, schlug er sie wieder, und sie wollte es so. Er schlug, und sie waren nackt, und sie wollte alles, was geschah. Aber er, bildete er sich ein, er wollte nicht weg aus dem Ufergesträuch, er wollte bleiben und bloß mir ihr schlafen und nicht wieder zurückstürzen in das Zimmer mit der breiten weißen Tür und dem Leichnam, der noch am Leben war, mit dem Gesicht, aus dem noch Atem kam und eine Stimme.
    Halt mich fest, Bruderherz, sagt sie. Und ihr Bruderherz sagt: Hier bin ich. Ich bin’s, Wastl. Und sie, der Leichnam, der noch lebt: Schrei doch nicht so! Und er: Verzeihung, Kati. Und dann weint sie wieder.
    »Gott ist eine Drecksau«, sagte er zu Ines und berührte mit den Fingerspitzen ihre Brüste. Nicht weit entfernt schlugen die Wellen des Sees an den Steg. Und seine Hände begannen zu kreisen und drückten fest zu. »Das kannst du überall nachlesen, wo er hinkommt: Leichenberge.« Er wollte sie festhalten, nicht quälen. Sie lag da, unter ihm im Gesträuch nah am Ufer, im tiefen Dunkel, nach Mitternacht, im Dorf, aus dem sie stammte. Er hätte sie gern in den Schlaf gewiegt, Ines, Katalin, die sagte: Lies mir ein Gedicht vor, bitte, wie früher, Wastl. »Drecksau!« schrie er. Und sie schrie auf, weil er seine

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