Idylle der Hyänen
ihr, wie er seiner Schwester gewinkt hatte, von der breiten, weißen Tür aus. Das geht schon, hat sie gesagt, nach der OP die Chemo, und dann eß ich halt weniger, wenn ich nicht mehr so viel Magen hab, das tut mir gut, bin eh zu dick. Du bist nicht dick, sagt er und sieht sie an. Wieder fallen ihm die dunklen Ringe unter ihren geröteten Augen und ihr schmal gewordenes Gesicht auf, und er denkt, daß sie vor lauter Nachtschichten in der Klinik nicht zum Schlafen kommt und bestimmt ihr ganzes Trostvermögen an die Patienten verschenkt, so wie sie ihn behütet hat, wenn er sich als Kind in unheimlichen Welten verlief. Schau mich an! sagt er und streckt seinen Bauch vor. Und sie: Wo kommt dieser Ranzen her? Und er: Lagert Bier drin, viel Bier, sonst ertrag ich die Arbeit nicht und alles andere. Dann hör da auf, sagt sie. Und er: Ich brauch das Geld. Und sie: Schreib endlich deinen Roman. Und er: Das taugt nichts, was ich schreib. Und sie, ungeniert: Du redest wie Papa, der hat auch alles runtergemacht, was du geschrieben hast, und Mama auch, die am allermeisten. Stimmt das? fragt er. Und Katalin: Das stimmt, du hast es bloß verdrängt, weil du so traurig warst, daß sie weggegangen ist, Wastl. So traurig wie du, sagt er. Und sie: Du noch viel mehr, ich war ja schon älter. Und er: Wann läßt du die Operation machen? Demnächst, sagt sie. Sie haben dich nie gesehen, wie du wirklich bist, sie wollten immer einen anderen aus dir machen. Und er: Vielleicht ist ihnen das gelungen. Hör auf! sagt sie laut, und ein paar Leute auf der Feier sehen her, hör auf, dir Dinge einzureden, das hast du schon als Kind getan, hast dir eingeredet, du taugst nichts, du bist soviel wert wie Dreck. Manchmal hast du dir schlimmere Dinge eingeredet als Papa und Mama und Pia zusammen. Ohrfeigen hätt ich dich können! Und er, leise, nicht wegen der Gäste, sondern weil seine Stimme geschrumpft ist: Warum hast du es nicht getan? Und sie, scheulos und streng: Und heut redest du dir immer noch Zeug ein. Du bist alt genug, um zu erkennen, was du kannst und was du erreicht hast und welche Ziele noch vor dir liegen. Wieso behandelst du dich so schlecht, was hast du gegen die Leute beim Fernsehen? Und er: Barbiere des Wahnsinns, sie rasieren dir jeden Tag die Phantasie kahl. Und sie, ohne zu lächeln: Du bist gut in dem, was du tust, bleib dabei, ich bitte dich, auch für deine Frau und deinen Sohn, ich bitt dich. Und sie streicht ihm übers Gesicht und hat eine schneekalte Hand.
So kalt war seine Hand, als er Ines winkte. Sie stützte ihr Kinn auf die Hände und hörte nicht auf, ihn anzusehen. Und er stürzte in ihren Blick.
Und Katalin nippt an ihrem Wasserglas. Er gießt sein Glas randvoll mit spanischem Rotwein, und sie sagt: Prost. Und er: Auf dich. Seit wann weißt du davon? Und sie: Von meinem Tumorchen? Seit einer Woche. Außer dir hab ich noch niemandem davon erzählt, und das soll auch erst mal so bleiben, Wastl.
In diesem Moment landet eine Hand auf seiner Schulter. Getuschel unter Geschwistern? fragt Sara, seine Frau. Ich hoffe, du redest heut abend noch mit ein paar anderen meiner Geburtstagsgäste, darf er, Kati? Und Katalin: Wie fühlst du dich heut? Und Sara: Hab mich schon mieser gefühlt. Als ich dreißig wurde, hab ich geglaubt, jetzt springt mir das Alter ins Gesicht, und ich hab überlegt, mir die Haut straffen zu lassen. Ich hab mir eingebildet, daß mir überall was weh tut, in der Brust, am Rücken, am Hals, hab mich ständig abgetastet, dein Bruder hat davon nichts mitbekommen. Das war eine Horrorzeit für mich, und deswegen fühl ich mich heut ganz gut. Sie sieht ihn an, und er sagt: Darüber hast du nie gesprochen. Manches weißt du eben nicht, sagt sie im Weggehen. Sie klingt, denkt er, wie eine seiner Serienfiguren, die er seit Jahr und Tag erfinden und brunzdummes Zeug sagen lassen muß.
Katalin fragt: Habt ihr Probleme miteinander? Und er: Sie möchte, daß ich ihren Beruf mehr schätze und ihre Arbeit mehr würdige und nicht in meinem Zimmer verschwinde, um irgend etwas Nutzloses zu tun. Und Katalin: Was sagt euer Sohn dazu? Und er: In seinen Augen tragen wir beide zur Volksverdummung bei, er haßt das Fernsehen, ich weiß nicht, wo er das her hat. Sie lacht und er auch, und sie küßt ihn auf den Mund, dann trinken sie und stoßen noch einmal an und lachen noch einmal. Das ist das letzte Mal, daß er sie lachen sieht.
Er stürzte immer tiefer in Ines’ Blick. Er wollte nicht stürzen. Er wollte in diesem
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