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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Hand gehalten und er ihr zugeflüstert: Jetzt hat unser Vater wieder eine Hinredfigur, und Katalin hat gekichert und gewußt, was er meint. Seit er hören kann, hat sein Vater hingeredet: an die Leute in seiner Kanzlei, am Essenstisch an seine Mutter und an das Kotelett, auf der Straße an Bekannte oder ein Baugerüst, im Gasthaus an die Bedienung, an den Bierfilz oder den Promilleschorsch, im Urlaub am Strand an den Eisverkäufer und manchmal an seinen Sohn, den Wastl, der seit jeher eine unbrauchbare Hinredfigur gewesen ist. Doch dann kommt Pia an die Reihe und sie, das weiß Wastl, ist zum Hinreden auf jeden Fall ein Spitzenersatz für seine Mutter.
    »Hau ab!« schrie Sebastian Flies quer über den Boden. Dann krümmte er sich. Doch die Stimme ging nicht weg und war ganz deutlich im Rauschen seines Kopfes zu verstehen.
    Nebeneinander hocken sie auf der Bank, und die Frau sagt: Ich möchte in Ruhe mit dir reden. Und er sagt: Paßt schon! Aber er sieht seine Mutter vor der Bank herumhüpfen, so anmutig, daß die Schmetterlinge mit den Flügeln applaudieren, das sieht er genau.
    Und die Frau sagt: Du brauchst nicht Mama zu mir zu sagen, sag Pia, ich wär ganz einfach gern deine Freundin.
    »Hau ab!« schrie er in den Teppich hinein.
    »Hau ab!«
    Und er wünscht sich, Katalin käme aus dem Geäst des Apfelbaums geklettert und würde sich neben ihn setzen und still sein, still und duftig, wie seine Mutter, die weggegangen ist, aber wieso? Er ist elf und unbrauchbar als Hinredfigur, unbrauchbar auch als Mitnehmsel. Wieso hat seine Mutter ihn nicht mitgenommen? Wieso ist die vor uns abgehauen, Katalin, sie hätte doch weiterhüpfen können im Garten und ihre Bilder malen, wieso? Bin ich ein Depp, dem der liebe Gott Apfelmus statt Hirn in den Kopf gestopft hat? Paßt schon, denkt er, denkt: Die Mutter mußte raus aus dem Laberbrei seines Vaters, paßt schon, er denkt: Katalin fliegt bald nach Portugal ans Meer und fängt, wenn sie zurückkommt, eine Ausbildung als Krankenschwester an und wohnt woanders, paßt schon.
    Und dann springt er auf und läuft über die Wiese zum Apfelbaum und schlingt seine Arme um den Stamm, tut so, als würde er ihn schütteln; in Wahrheit aber will er ihn ausreißen und auf das Haus werfen. Und wenn sein Vater Punkt halb sieben mit seinem Audi vorfährt, hat er Glück, weil: Da liegt ein Riesenschutthaufen für ihn zum Hinreden bereit, und daneben stampft Pia mit dem Fuß auf, wie ein Spitzenersatzrumpelstilzchen.
    Sebastian Flies kroch über den Boden seines Zimmers, stemmte sich weiter bis zum Schrank, krallte die Finger in die Türleiste und zog die Tür auf, verlor die Kontrolle und schlug mit dem Kopf auf der Kante des Schrankbodens auf. Benommen blieb er liegen. Dann tastete er nach etwas, bekam die Schuhschachtel zu fassen und warf sie neben sich. Das verwaschene T-Shirt fiel heraus.
    Er hatte vergessen, daß er den Revolver dem Portier verkauft hatte.
    Er streckte sich, durchwalkt von Schmerzen, hustete wieder und tauchte, als dringe er behutsam in Wasser ein, mit dem Kopf in die Schachtel, drehte den Kopf zur Seite und roch die modrige Pappe, an die er seine Wange schmiegte.
    Er wußte, daß die Frau am See tot war. Er hatte nicht sie gemeint, als er sie tötete. Er hatte nicht einmal seine Stiefmutter gemeint, nicht einmal seine Mutter oder seinen Vater. Und er schmiegte seine andere Wange an die harte, rissige Pappe. Er hatte, als die Frau, Ines, ihn dazu aufforderte, die Tat begangen, weil…
    Aber das würde er dem Kommissar nicht sagen, niemandem würde er das sagen, niemals. Denn niemand würde ihm glauben.
    »Glaubst du, er hat etwas mit dem Mord an der Frau zu tun?«
    »Ja«, sagte Polonius Fischer. »Oder mit dem Mord an jemand anderem.«
    Sie lagen auf dem Rücken und hielten sich an den Händen, schon eine Weile, im Dunkeln.
    »Mein sechstes Jahrzehnt hat begonnen«, sagte er.
    Ann-Kristin ließ seine Hand los und beugte sich über ihn.
    »Dann schlaf lieber schnell noch mal mit mir.«
    13   Töte mich, ich bitt dich drum
    » U nd deine Schwester?« fragte Ines. »Hat sie sich mit Pia verstanden?«
    »Nein«, sagte er, »und das war ihr gleich. Sie ist bald ausgezogen.«
    »Und heute?« fragte Ines, »trefft ihr euch manchmal, ihr vier?«
    »Katalin ist tot.« Er drehte sich im Bett auf die andere Seite, um zu Ines hinübersehen zu können, die auf dem Stuhl saß, die Beine an den Körper gezogen, die Hände auf den Knien gefaltet. Er winkte ihr zu.
    Er winkte

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