Idylle der Hyänen
suchen und zu loben«, sagte Sebastian Flies. Er sah an Fischer vorbei zum Fenster. »Und man geht nicht hin, um die Welt zu vergessen. Ja? Genau. Ist ihr nicht gelungen. Sie hat den Gott nicht gefunden, deswegen könnt sie ihn auch nicht loben, logisch. Und die Welt zu vergessen ist ihr erst recht nicht geglückt.«
»Am Anfang«, sagte Ines, »hab ich in der Bibliothek gearbeitet, in den letzten zwei Jahren in der Wäscherei. Zu meinen Mitschwestern war ich immer freundlich und hilfsbereit und sie zu mir auch, besonders Mutter Johanna. Immer, wenn ich zu ihr ging, bot sie mir grünen Tee an und stellte kluge Fragen, und ich hab fast immer gelogen.«
»Weil«, sagte Flies und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück, »sie hat gespürt, daß Gott sich ihr nicht zeigen wird. Daß sie allein bleibt. Gehofft hat sie trotzdem, die dumme Kuh.« Er wollte zur Tasse greifen, schlug aber aus Versehen mit dem Handrücken gegen die Tischkante und verzog das Gesicht. Dann schüttelte er die Hand aus und blickte zum Kreuz an der Wand.
»Das Hoffen war schon da«, sagte Ines unter der Bettdecke, »und ich war auch zufrieden und hatte zu tun. Oft fanden im Kloster Seminare statt, und ich half beim Saubermachen im Gästehaus. Es gibt dort auch ein Lokal und eine Buchhandlung, und viele Touristen kommen, so kann das Kloster Geld verdienen und überleben. Am Staatstropf würden die Schwestern verhungern, hat Mutter Johanna immer gesagt. Sie ist ein realistischer Mensch. Als junge Frau hätt sie beinah geheiratet, aber dann hat sie sich für den heiligen Benedikt entschieden.«
»Der heilige Benedikt ist verliebt gewesen«, sagte Flies. »Wußten Sie das, Mister Fischer?«
»Ja, aber er hat sein Verlangen bezwungen und erkannt, daß er der Liebe zu Christus nichts vorziehen darf.«
»War das gesund für ihn?« Flies holte Luft, schnaufte und wischte sich über die nasse Stirn.
»Er war ein mutiger, ergebener, kluger Mann«, sagte Ines. »Er hat sich um die Bedürfnisse der Schwachen gekümmert, er hatte Demut vor Gott und der vollkommenen Liebe, die es für ihn nur im Glauben gab, hörst du mir zu, Jakob?«
»Hören Sie mir zu?«
»Ja«, sagte Polonius Fischer.
»Das ist nämlich wichtig«, sagte Flies zur Kaffeetasse. »Weil, wenn sie sich aufsetzte im Bett und ich zu ihr hinaufsah und wenn sie sich geschunden über mich beugte, dann tropfte es in meine Augen. Als würd sie mein Schauen taufen, verstehen Sie das?«
»Und weiter?« sagte Fischer.
Sie tranken Tee und Wasser und Wodka und aßen trockenes Brot und verließen das Zimmer nicht.
»›Hier sieht’s aus wie in meiner Zelle!‹ hat sie in der ersten Nacht zu mir gesagt, und ich hab sie gefragt: Was für eine Zelle? Aber sie rückte erst später damit raus. Sie war fast zwei Wochen bei mir, das hab ich Ihnen schon gestanden.«
»Sie haben es erzählt«, sagte Fischer.
Mit einer übertrieben ausholenden Bewegung verschränkte Flies die Arme vor der Brust und schaute zum Fenster. »Toller Ausblick. Eine Hauswand!«
»Wie heißt Ines mit Familiennamen?« fragte Fischer.
»Stimmt das wirklich?« sagte Flies und verzog den Mund. »Der Typ hatte eine Schwester, die genauso drauf war wie er?«
»Sie hieß Scholastika«, sagte Ines. »Eines Tages hat sie ihren Bruder besucht, der in seinem Kloster auf dem Berg wohnte, und er ist zu ihr hinuntergekommen, und sie redeten lang und vergaßen die Zeit. Es wurde dunkel, und Benedikt drängte zur Rückkehr, denn er verbrachte nie eine Nacht außerhalb des Klosters, er hatte Demut vor der Stille und betete und konnte Gott an keinem anderen Ort besser zuhören. Siehst du?«
»Sehen Sie?« sagte Flies. »Dem Einsiedler ist das Zwiegespräch gelungen, Zweifel kannte der nicht. Ines schon. Er nicht. Sein Herz war weit.« Flies breitete die Arme aus. »Ungefähr so weit.«
Dann verschränkte er die Arme wieder. »Der wußte genau, daß Gott da draußen irgendwo war, der dachte nicht dauernd: Aber ich seh ihn doch gar nicht! Aber ich hör ihn doch gar nicht! Nein.«
»Nein«, flüsterte Ines unter der Bettdecke im Hotelzimmer. »Sein Gehorsam lehrte ihn, die Stille zu deuten. Diesmal hat ihn seine Schwester gebeten zu bleiben, sie wollte die Nacht nicht allein verbringen. Doch obwohl er so ein kluger Mann war, hat er die Worte unter den Worten nicht verstanden, den verborgenen Sinn, den Scholastika möglicherweise selber nicht begriffen hat, erst später.«
»Und der Typ war stur«, sagte Flies. »Immer schon. Er ist
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