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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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aufzuschnüren.«
    Sie streckte ihre Beine aus und strich Sebastian über den Kopf.
    »Ich bin’s«, sagte sie. »Fürcht dich nicht.«
    »Ich fürcht mich nicht«, sagte er. Dann wurde er zornig und hatte keine Erklärung dafür. Er sprang aus dem Bett – er hatte nur ein graues T-Shirt und seine Unterhose an – und rannte zum Kühlschrank, schraubte die Wodkaflasche auf und trank, bis er husten mußte.
    »Geh zurück in dein Kloster!« schrie er. »Geh zu den anderen Jungfrauen, und laß mich in Ruhe!« Er trank, gurgelte mit Wodka, schluckte alles runter, hockte sich vor die offene Kühlschranktür, starrte hinein.
    »Hast du gedacht, alle Nonnen sind Jungfrauen?« sagte Ines. Sie hatte sich aufgesetzt, zog die Beine an den Körper und schlang die Arme um die Knie. »Nein, viele treten erst mit über Dreißig in den Orden ein, die haben nicht nur ein Studium oder eine Ausbildung hinter sich, die haben auch Männer hinter sich. Scholastika aus der Bücherei war sogar verlobt, aber dann hat sie sich anders entschieden.«
    Flies streckte den Kopf vor, bis er die Kälte des Kühlschranks im Gesicht spürte.
    »Wenn wir die Urkunde unterschreiben, mit der wir unser Gelöbnis von klösterlichem Lebenswandel, Beständigkeit und Gehorsam besiegeln, wie es die Regel des heiligen Benedikt verlangt, sprechen wir den Vers: Nimm mich auf, Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben, laß mich in meiner Hoffnung nicht scheitern.«
    »Und deswegen«, sagte Flies laut, schniefte und wiegte wieder den Oberkörper vor und zurück, die Hände an die Sitzfläche des Stuhls geklammert, »konnt sie nicht mehr ins Kloster zurück! Verstehen Sie das, Mister Fischer? Weil sie in ihrer Hoffnung gescheitert ist. Ihre Hoffnung ist an der Stille zerschmettert, das waren ihre Worte, sie hat das ewige Stillsein nicht mehr ertragen, sie ist dran verreckt! Und dann ist sie auferstanden und wieder verreckt. Und wieder auferstanden und wieder verreckt. Wie ich. Das kenn ich. Sie hat gebetet und ihre Arbeit getan, und beim Essen hat sie den Mund gehalten, weil das Vorschrift war. Sie ist verreckt, und deswegen ist sie abgehauen. Und dann sind wir uns begegnet. Aber ich konnt sie nicht retten. Und sie mich auch nicht. Erlösung gescheitert, Auferstehung verschoben.«
    »Wie heißt Ines mit Familiennamen?« fragte Fischer.
    »Was?« Flies sah ihn aus entzündeten, tränenden Augen an.
    Fischer wartete. Valerie nahm ihre Hände nicht von der Tastatur. Vom Flur waren gedämpfte Stimmen und das Klingeln der Telefone, Schritte und Zurufe zu hören.
    »Gebirg.«
    »Wiederholen Sie den Namen bitte«, sagte Fischer.
    »Gebirg.«
    »Gebirg«, wiederholte Fischer laut, für Valerie.
    »Genau. Wie Fichtelgebirge, bloß ohne Fichtel und e.«
    »Besitzen Sie ein Auto, Herr Flies?«
    »Ja, und?«
    »Wo steht das im Moment?«
    »Irgendwo.«
    »Hier in der Stadt?«
    »Ja«, sagte Flies, drehte sich zur Seite und schaute zur Wand. »Es verreist nämlich selten ohne mich.«
    »Wann haben Sie Nele Schubart zum letztenmal gesehen?«
    »Ich kenn die nicht!«
    »Ende der Vernehmung«, sagte Fischer. »Zehn Uhr fünfundvierzig. Der Tatverdächtige Sebastian Flies wird vorübergehend in einer Zelle des Polizeipräsidiums untergebracht. Die Dauer der Untersuchungshaft beträgt achtundvierzig Stunden.«
    Mit einem Schrei sprang Flies vom Stuhl, taumelte und schlug mit dem Rücken gegen die Wand. »Spinnst du? Ich geh doch nicht in eine Zelle! Ich geh nicht ins Gefängnis!« Spucke lief ihm aus den Mundwinkeln, er sah aus, als würde er jeden Moment zu weinen anfangen.
    Fischer erhob sich. Instinktiv wich Flies zurück, stolperte, preßte die Hände flach an die Wand.
    »Wann haben Sie Nele Schubart zum letztenmal gesehen?«
    »Weiß ich nicht!« Mit einer schnellen Bewegung wischte er sich übers Gesicht und preßte die Hand sofort wieder gegen die Wand. »Ich geh nicht ins Gefängnis! Ich weiß nicht, wann ich sie gesehen hab, vor zwei, drei Monaten, Scheiß auf die Zeit! Wir haben uns in dem Dingskino getroffen, am Bahnhof, dem Filmpalast da, wir haben nebeneinander gesessen, reiner Zufall, danach haben wir ein Bier getrunken und dann sind wir in der Kiste gelandet. Und dann haben wir uns noch zweimal getroffen oder dreimal, und das war’s. Sie hat sich nicht mehr gemeldet, und ich hatt keine Nummer von ihr. Ich kenn die nur im Dunkeln, ich weiß nicht mal richtig, wie die aussieht. Die ist wahrscheinlich auch an ihrer Hoffnung gescheitert!«
    »Kommen Sie«, sagte

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