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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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schmeckte Schweiß auf der Zunge.
    »Was denn? Ach so! Meine Mutter, glaub ich. Ist mir nur so eingefallen, weil du mir vorhin von deinem komischen Erlebnis auf dem See erzählt hast. Daß du am liebsten untergegangen wärst.«
    »Stimmt doch gar nicht!«
    Mit einem Satz sprang Milena auf, lief zum Fahrrad, hielt die Plastikflasche gegen die Sonne und schraubte sie auf.
    »Ein Schluck ist noch drin.«
    Dann drückte sie Ines die Flasche gegen die Brust, und ihre Freundin verlor fast das Gleichgewicht. Das Wasser war warm und schmeckte klebrig.
    »Und jetzt will ich wissen, was mit dir los ist«, sagte Milena. »Alles war in Ordnung, bis du vom See zurückgekommen bist. Was ist da draußen passiert, Sehnerl?« Sie griff nach dem Arm ihrer Freundin und erschrak: »Wieso bist du so kalt?«
    Wie so oft schwamm sie auf dem Rücken, paddelte mit halb geschlossenen Augen über den See, furchtlos, in willkürlichen Bögen; der Wind strich Sonne auf ihren Körper wie Oma Rosina Marmelade auf die Plätzchen im Advent.
    Mitten im Juli, bei achtundzwanzig Grad, schmeckte Ines den Teig und roch den Duft, der aus dem alten Ofen strömte und das Holzhaus in ein Knusperhäuschen verwandelte, alle Jahre; sogar in jenem Jahr – daran erinnerte Ines sich plötzlich beim Gleiten über die Wasseroberfläche –, in dem ihre Mutter gestorben war.
    Vielleicht löste dieser Gedanke, der einen August und einen Dezember umschloß, den ersten Ruck in ihr aus, eine Ahnung von Schwerkraft, gegen die jeder Widerstand zwecklos sein würde.
    Etwas zog an ihr; etwas beschwerte und versöhnte sie gleichzeitig mit dem Wunsch, noch schwerer zu werden, das Wasser loszulassen und sich nicht länger an den Himmel zu krallen.
    Sie kraulte knapp unter der Oberfläche, schluckte Wasser beim Luftholen, zog Kreise und spürte einen warmen Strom an ihren Beinen; etwas Glitzerndes lockte sie, vielleicht das diamantene Erdherz, dachte sie.
    Sie schaute hin, durch das Wasser, und schlug heftig mit den Armen.
    Dann hörte sie auf zu schlagen.
    Sie ließ die Arme gleiten und sank; sie trudelte ein wenig; ihre Arme schlenkerten, und das Schimmern vor ihren Augen franste aus, entfernte sich von ihr. Darüber erschrak sie. Sie wollte nicht dorthin! Sie spürte das Gewicht und wollte es abstreifen. Sie warf den Kopf in den Nacken und streckte die Arme, griff nach den Wellen wie nach Sprossen einer Leiter. Sie sah das eindringende Licht, aber wie nah es war, konnte sie nicht abschätzen.
    In ihrem Mund verfing sich ein ekelhafter Fetzen. Sie spuckte ihn aus, er blieb wieder zwischen ihren Zähnen hängen; es gelang ihr, ihn zu packen. So streckte sie sich weiter nach oben; alles um sie herum war schwarz und ölig.
    Ihr Kopf tauchte auf. Und als wäre es zum Greifen nah, sah Ines das Haus ihrer Eltern.
    Sie streckte die Hand aus, die Hand mit dem schmierigen Fetzen, den sie jetzt losließ. Und sie versuchte die Hollywoodschaukel zu berühren, die ihr Vater schon im Dezember bestellt hatte, damit sie rechtzeitig geliefert wurde. Alle Sommergäste waren begeistert; alle freuten sich, auch eine Elster, die seither auf der Lehne hockte und den Wind um einen Schubs anpfiff.
    Ines griff nach dem schwingenden Schaukelsitz, schwamm schneller, legte ihre ganze Kraft in das Rudern ihrer Arme und Beine. Die Schaukel war nah und leuchtete grün und gelb; an den Fingerkuppen glaubte Ines schon den Stoff zu spüren.
    In dem Moment, als sie die Schaukel berühren wollte, erreichte sie das Ufer und fiel mit dem Gesicht voran auf den Kies, krümmte sich, würgte und wunderte sich, daß alle Sommergäste verschwunden waren.
    Und sie flüsterte: »Heut ist doch gar kein Ruhetag.«
    »Wer behauptet, daß meine Mutter nicht verunglückt ist?« fragte Ines.
    »Soll ich dir was verraten?« Milena, die einen halben Kopf größer war als Ines, legte den Arm um die Schulter ihrer Freundin und senkte die Stimme. Drei Jungen beobachteten sie aus der Entfernung und schnitten Grimassen. »Ich hab mir schon immer gedacht, daß deine Mutter nicht einfach so untergegangen ist. Kann dir sagen, wieso: Die konnt viel zu gut schwimmen, noch besser als du. Und das weißt du auch, Sehnerl. Das hat damals schon meine Mama zu mir gesagt. Wie lang ist das jetzt her? Drei Jahre?«
    »Fünf«, sagte Ines. In ihrem Bauch schlugen Flügel.
    »Meine Mama hat damals schon gesagt, die Frau Gebirg hat das so gewollt. Wer geht schon um halb fünf in der Früh zum Schwimmen? Außer, er will was anderes als

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