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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Prüfung bestehen und weitermachen und gute Gastgeber sind, für unsere Hausgäste und für alle anderen Gäste, die ihr Geld bei uns lassen. Wir sind ein Gasthaus, keine Klagemauer. Und jetzt geht jeder an seine Arbeit.«
    »In ihrem Sinn!« sagte Robert Gebirg abfällig in sein Glas. »Was war denn in ihrem Sinn? Was ist denn da vorgegangen, in dem Sinn von der Aloisia? Dasselbe wie in dem Sinn von der Edeltraut?« Er schob das Glas von sich weg.
    »Ab heute trinkst du kein Bier mehr zum Mittagessen!«
    Friede kam um den Tisch herum, packte den Wirt am Arm und dirigierte ihn in die Küche. Als er verschwunden war, drehte sie sich um und sagte eine Weile nichts. Ines zupfte an ihrem T-Shirt und konnte die eine Frage in ihrem Kopf nicht abstellen.
    Ob sie heute nachmittag auf dem See sichumbringsüchtig gewesen war.
    »Woran denkst du?« fragte Friede, plötzlich nah bei ihr.
    »Gar nichts«, sagte Ines. »Dann ist Mama also eine Selbstmörderin und die Uroma Eda auch, und ich bin vielleicht auch eine.«
    »Du bist ein vernünftiges, gesundes Mädchen, und später wirst du eine vernünftige und gesunde Frau und die beste Wirtin, die sich die Gäste nur wünschen können, Sehnerl.«
    »Ich glaub«, sagte sie, »ich möcht ab jetzt Ines heißen.«
    »Magst du den Namen Sehnerl nicht mehr?«
    »Ich mag ihn schon, ich will bloß nicht mehr so genannt werden, ich bin schon vierzehn.«
    »Ach, Sehnerl.«
    Das versöhnliche Licht der Abendsonne drang bis in die Kammer vor, in der Robert vor dem Fenster stand und Friede neben ihm; sie sprachen nicht; sie sahen sich an und dann, gleichzeitig, er zum Bett und sie nach draußen und hinunter auf die ungemähte Wiese. Es war ein Versuch gewesen, den sie hinauszögerten, als wüßten sie nicht, daß er längst mißlungen war.
    Das störte sie nicht; sie waren allein im Haus; blamieren konnten sie sich nur, wenn sie etwas sagen würden; das taten sie nicht. Sie betrachteten ihre Hände, wie sie sich hielten, unterhalb des Fensterbretts, als könne die Elster, die neuerdings zu Besuch kam, ihre Vertrautheit stehlen, einen funkelnden Augenblick, der doch nur Straß war, wie sie beide wußten, der sich aber wunderbar anfühlte, zumindest für kurze Zeit; nicht lang genug, um zu vergessen, daß Aloisias Tod ihnen dieses flüchtige Obdach überhaupt erst ermöglicht hatte.
    »Ach, Sehnerl.«
    »Und du?« sagte Ines. »Woran denkst du?«
    Mit lauter Stimme schreie ich zum Herrn, laut flehe ich zum Herrn um Gnade. Ich schütte vor ihm meine Klagen aus, eröffne ihm meine Not. Wenn auch mein Geist in mir verzagt, du kennst meinen Pfad. Auf dem Weg, den ich gehe, legten sie mir Schlingen. Ich blicke nach rechts und schaue aus, doch niemand ist da, der mich beachtet. Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben. Herr, ich schreie zu dir, ich sage: Meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden. Vernimm doch mein Flehen, denn ich bin arm und elend. Meinen Verfolgern entreiß mich, sie sind viel stärker als ich…
    Führe mich heraus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise. Die Gerechten scharen sich um mich, weil du mir Gutes tust.
    »Einen großen Psalm hast du dir ausgesucht, Ines.«
    »Er beschreibt meine Demut, liebe Mutter.«
    »Das ist von nun an dein Zimmer«, sagte die Äbtissin.
    »Dein Schrank, dein Bett, WC mit Dusche, alles, was du benötigst, um für dich zu sein, zu dir zu kommen, zu beten, zu lesen, zu schweigen. Fernsehen und Telefon gibt es nicht.«
    »Ich brauch kein Fernsehen und kein Telefon«, sagte Ines.
    »Danke noch mal für den Empfang und die Kette, ich werd sie in Ehren halten. Und danke auch für den schönen Gesang.«
    »Einige Schwestern sind schon recht alt«, sagte Johanna Nehle. »Ihre Stimmen sind ein wenig brüchig, aber sie singen immer noch gern. Ist dir kalt? Die Fensterstöcke sind vor zwei Jahren erneuert worden, für die meisten Zimmer haben wir neue Matratzen angeschafft. Auch wenn der Staat uns oft wie eine Melkkuh behandelt, wissen wir doch zu wirtschaften und unser Geld zusammenzuhalten, und dann reicht’s auch für Latexmatratzen!«
    »Kann ich jetzt etwas tun, Mutter Johanna?«
    »Gewöhne dich ein, Ines«, sagte die Äbtissin.
    »Lies, leg dich hin, wenn du möchtest. Um zwanzig nach fünf beginnt die Vesper, an der nimmst du teil. Bis dahin bleibst du einfach in deinem Zimmer. Natürlich darfst du auch in den Garten gehen, du bist ja nicht eingesperrt.«
    Ines strich über den viereckigen Holztisch vor

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