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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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schwimmen.«
    »Was denn?« sagte Ines leise, wie mit geborgter Stimme.
    »Darüber muß doch bei euch mal gesprochen worden sein, das gibt’s doch nicht!«
    »Die Leute behaupten, meine Mutter hat sich umgebracht?«
    »Frag deinen Vater, der wird’s wissen.« Sie strich Ines durch die Haare. »Es soll nämlich schon vorgekommen sein, daß, wenn sich einer umbringt, vorher andere aus der Familie dasselbe getan haben. Hat mir meine Mama erzählt. Keine Ahnung, ob das stimmt. Hat sich schon mal jemand in deiner Familie umgebracht, Sehnerl?«
    »Hör auf!« Ines stieß Milena weg und blickte auf den See hinaus, auf dem Boote fuhren. »Bei uns bringt sich niemand um! Das ist gemein! Wieso sagst du so was? Bist du nicht mehr meine beste Freundin? Ich will nach Hause.«
    »Ich hab dir das erzählt, weil du gesagt hast, du wärst da draußen fast ertrunken und hättst ein starkes Gefühl dabei gehabt.«
    »Das war kein starkes Gefühl!« sagte Ines.
    »Dann halt ein gutes Gefühl. Jedenfalls kein schlechtes. Angst hast du nicht gehabt, hast du behauptet.«
    »Stimmt ja auch.«
    »Na also.«
    »War trotzdem nicht stark, war total unheimlich.«
    »Frag deinen Vater«, sagte Milena. »Und, Sehnerl, ich behaupte nichts, ich hab nur gesagt, was ich gehört hab. Und wenn deine Mutter sich wirklich umgebracht hat, wär’s, find ich, wichtig rauszufinden, warum? Findst nicht?«
    »Ja«, sagte Ines mit verebbender Stimme. »Das wär wahrscheinlich wichtig.«
    »Willst du echt nach Haus?«
    »Glaub schon.«
    Er konnte nicht mehr schreien. Er röchelte und hatte keine Kraft mehr, mit den Fäusten gegen die Tür zu hämmern. Alles war lächerlich geworden. »Ich bin im Gefängnis«, krächzte er, hustete und zog den Rotz hoch.
    So sehr hatte Sebastian Flies sich gewünscht, eines Tages nur noch für sich zu sein, in einem kleinen Raum mit einem kleinen Fenster, bei geschlossener Tür, abseits von Lärm und Gerede, in toilettaler Abgeschiedenheit, weg von den Leuten, die ihm Geld dafür gaben, daß er sie duzte und Hunderte Kilometer flog, um an von Handys verstrahlten Sitzungen teilzunehmen, in denen festangestellte Erkenntniserteiler einem Schreibknecht wie ihm das Einsehen diktierten.
    »Daß es zum Beispiel geschickter ist«, sagte Flies mit heiserer Stimme in die Toilettenschüssel, vor der er kniete, »die einundzwanzigjährige Tochter der Hauptfigur in einen dreißigjährigen, zu Gewaltausbrüchen neigenden Bruder umzumodeln.«
    Er richtete sich auf. »Das ist doch einsehbar!« Dann beugte er sich wieder vor. »Yes! Und daß es raffinierter ist, die Zwillingstöchter der weiblichen Hauptfigur in deren verschollen geglaubten Vater zu verwandeln. Oder?« Er hob den Kopf und betrachtete seinen gekrümmten Zeigefinger.
    »Und daß es der Sache dienlicher ist, die Handlung von der Stadt aufs Land zu verlegen, und daß die einzige Lösung, um die Kuh vom Eis zu kriegen, darin liegt, aus dem Antagonisten den Protagonisten zu machen. Gell?«
    Das alles hatte Flies eingesehen, wieder und wieder. Und deswegen steckte er jetzt den Mittelfinger in den Rachen und beugte sich über die Schüssel. Aber es kam nichts. Er würgte und hustete und schüttelte sich vor Lachen, das er aus sich herauspreßte, bis ein Heulkrampf ihn niederdrückte und zwang, auf dem Boden liegenzubleiben, die Finger in die Haare gekrallt. Dann schleppte er sich zur Tür und schmiegte seine Wange an den kalten Stahl.
    »Die Namen hab ich alle vergessen«, flüsterte er und schmeckte salzigen Rotz auf den Lippen.
    »Die Namen der Erkenntniserteiler, vergessen. Die haben wahrscheinlich, psst, inzwischen eingesehen, daß das Einsehen ihrer Vorgesetzten, psst, der Sache noch dienlicher als ihr eigenes Einsehen gewesen ist, weswegen sie eingesehen haben, daß die staatliche Zusammenlegung von Arbeitslosen und Sozialhilfe, psst, besonders für ehemalige festangestellte Erkenntniserteiler überhaupt die einzige Überlebenslösung ist. Gell?«
    Mit der flachen Hand strich er über die Tür, ein Streicheln. Dann ließ er sich auf den Rücken fallen, rollte zur Seite und verharrte.
    Nach einer weiteren, schmerzvollen Drehung kroch er, die Ellbogen vor dem Kopf wie jemand, der durch Sand robbt, auf das Bett zu und scheuerte mit dem Gesicht über den widerlich riechenden Linoleumboden.
    »Zufrieden?« fragte ihr Vater, blies Rauch aus den Nasenlöchern, zog am Filter und trank aus dem Bierglas. Seine weiße, fleckige Schürze verrutschte. Ines ertrug kaum den Anblick

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