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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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dem Fenster; hier, wie zu Hause, schaute sie auf einen See; er war weiter entfernt als im Dorf und viel größer, aber der Nebel löste eine bleierne Ahnung in ihr aus, die sie in den Jahren nach dem Tod ihrer Mutter oft heimgesucht hatte.
    »Wenn ich die Probezeit besteh«, sagte sie, »und wenn ich im Noviziat alle Aufgaben zu Ihrer vollen Zufriedenheit erfüll und nach der zeitlichen Profeß übernommen werd, dann weiß ich schon einen Namen, den ich als Ordensschwester wählen möcht, wenn Sie einverstanden sind, liebe Mutter.«
    »Welchen Namen?« fragte die Äbtissin, lächelnd; sie hielt die Hände vor dem Bauch gefaltet. Etwas an ihr erinnerte Ines an ihre Großmutter Rosina: das farblose, von weltinniger Klugheit beseelte Gesicht vielleicht, der breite, in sich wurzelnde Körper.
    »Irmengard«, sagte Ines.
    »Irmengard«, wiederholte die Äbtissin. »Die Selige. Das hat alles noch Zeit, wir gehen einen Schritt nach dem anderen. Jetzt muß ich mich aber beeilen!«
    »Und mein Habit?«
    »Im Schrank«, erwiderte Schwester Johanna, schon im Gehen. »Du darfst ihn doch erst zu Beginn des Noviziats anziehen, hast du das vergessen?«
    »Nein«, sagte Ines schnell, dann gleich: »Doch.«
    »Anprobieren darfst du ihn. Und wenn du Nähzeug brauchst, wende dich an Schwester Maria. Sie ist für die Oblatinnen-Betreuung zuständig und für unsere Novizinnen und vor allem für unsere Garderobe.«
    »Schwester Maria hat das Muttermal auf der Wange.«
    »Richtig.« Die Äbtissin schloß die Tür; ihre Schritte verklangen schnell.
    Ines starrte die schmale Tür an; sie zwang sich, genau hinzuhören. Und tatsächlich: Aus weiter Ferne drangen Geräusche zu ihr, Laute aus der bewohnten Welt.
    Eine eigenartige Dunkelheit erfüllte das Zimmer. Überbleibsel schwarzer Gewänder, dachte Ines, das Schweigen von Frauen, die zwischen diesen Wänden gealtert sind und ihre Augen geschlossen haben, wenn es für sie nichts mehr zu sehen gab, nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu lesen, zu bewundern. Wenn ihr Staunen aufgebraucht und ihre Demut erschöpft waren, dachte Ines, wenn sie den Kopf zur Seite drehten und ihre Schmerzen als unbegreifliche Geschenke empfanden, Gaben des Erlösers, der ihnen bis zum Schluß Prüfungen auferlegte. Wenn sie mit zitternder Seele um Vergebung für etwas baten, das sie nie getan hatten oder tun hätten wollen oder können. Als wären sie Fische, dachte Ines, die an der Schuld ersticken, weil sie irgendwann mal, ganz ohne neidisch zu sein, den Flügelschlag der Möwen bewundert haben, so wie ich.
    »Es war nicht leicht«, sagte Ines zur Tür und zum Schrank.
    »Es war nicht leicht, dein Schreien auszuhalten, deine Stimme, die ich nie vorher so gehört hab. Du hast nach Bier gerochen, aber das kenn ich schon, das ist normal. Es war nicht leicht, dazubleiben und zuzuhören, wie du mich beschimpft hast. Manchmal hast du harte Dinge zu mir gesagt, und ich versteh nicht, wieso. Wieso, Papa? Und ich versteh nicht, wieso du Brumm gegen mich aufgehetzt hast. Daß er mich nach der Sperrstunde angeglotzt hat wie einer, der was von mir will, und nichts Schönes, und der mir ins Gesicht sagt, ich bin eine verklemmte Ziege, und das kommt davon, wenn man schon so alt ist und keinen Mann hat. Und ich versteh nicht, wieso du der Traudl das alles erzählt hast, die geht das gar nichts an, die ist noch nicht so lang bei uns, daß sie bei so was mitreden darf! Und sogar die Helene hat gesagt, ich mach den größten Fehler meines Lebens und du hättst schon recht, wenn du sagst, meine Mama würd sich im Grab umdrehen, wenn sie das mitansehen müßt! Du glaubst doch gar nicht an den Himmel, Papa, wieso sagst du so was? Wie soll die Mama mich denn sehen, wenn’s keinen Himmel gibt? Ich hab mich von dir beschimpfen lassen, und es war nicht leicht, nicht zurückzuschreien. Denn ich hätt auch viel zum Schreien gehabt. Davon hast du keine Ahnung, was ich alles unterdrückt hab, seit Mama gestorben ist und seit du mir die Wahrheit gesagt hast damals im Sommer. Aber ich hab nie geschrien. Ich bin in die Kirche gegangen, weil das Stillesein mir geglückt ist und das Schreien nicht. Wenn ich hab weinen müssen, hab ich mir den Mund zugehalten im Bett. Das weißt du alles gar nicht, und heut bin ich froh, daß du nichts weißt. Es war nicht leicht wegzugehen, ohne dir erklären zu können, wieso ich wirklich weggeh. Und es ist noch viel schwerer, hierzusein und nicht erklärt zu haben, wieso ich wirklich hier bin. Ich hab der

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